Diese Woche besuchte ich meine Mutter. Wie eigentlich jede Woche, wenn ich es irgendwie einrichten kann. Plane es schon mit ein in meine Tage, in meine Zeit, meine Lebenszeit. Gespräche werden nicht einfacher. Sie merkt es selbst und bringt es auch zur Sprache. Traurig. Müde. Und gleichzeitig doch wieder sehr wach. Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! (frei nach Lukas 6,36)
Irgendwann seufzt sie tief. „Ich weiß auch nicht. Alles fühlt sich irgendwie anders an. Erinnert mich an alte Gefühle. Von früher. Die ich lange nicht mehr hatte.“ Sie schaut mich unsicher an. Vorsichtig taste ich mich ran, frage: „Aus dem Krieg?“ „Ja“, sagt sie einfach. „Aus dem Krieg. Da wurde auch so alles so von oben bestimmt. Man musste gehorchen. Man war ausgeliefert. Wusste nicht, was der kommende Tag bringen würde. Das war schrecklich.“ Ich wundere mich. Dass sie das so vergleichen kann. Wo sie doch sonst gar nicht so viele Erinnerungen an früher hat. Das muss tief sitzen bei ihr.
Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! Wenn ich mich so umschaue in der Welt, im Januar 2021, im elften Monat mit so viel ungewohnter Fremdbestimmung, entdecke ich viele Menschen mit blanken Nerven. Deren Seelenhaut dünn geworden ist. Mit müden Augen, spannungsloser Körpersprache. Deren Geduld zum Zerreißen gespannt ist. Nahe zu aufgebraucht, am Ende. Wann ist das bloß endlich vorbei? Und dann noch diese dunklen Tage des Januar. So viel grauer Himmel, immer wieder trüb und regnerisch.
Erinnere dich: es ist Januar. Es ist doch erst Januar. Und erinnere dich: bis hierher hast du es geschafft. Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! Es ist doch erst Januar. Halte Dich offen für Neues. Tue Dir Gutes. Öffne Dich andern Menschen. Bleib in Kontakt. Telefoniere. Schreibe mal wieder Briefe. Oder mach Besuche. Dass wir es nicht verlernen, das Gespräch, das Zuhören, das Antworten, das Erzählen, den Austausch. Dass Nähe wächst. Dass Freundschaft hält.
Erinnere dich: es ist Januar. Es ist doch erst Januar. Und erinnere dich: bis hierher hast du es geschafft. Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! Es ist doch erst Januar. Versuche zu grüßen. Wer immer Dir auch begegnet. Verschenke Lächeln. Gönne Dir und den andern Dein Lachen, wenn Du was zu lachen ist. So schenkst Du den Ängstlichen und Traurigen neuen Mut.
Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! Darum: denk nicht an die ungeputzten Fenster. Denk nicht an all die unerledigten Dinge, die im Grunde gar nicht so wichtig sind. Denk nicht an die nicht rechtzeitig geschriebenen emails, an die unbeantwortete Weihnachtspost, an die immer länger werdende Liste der Dinge, die Du erledigen willst. Oder musst. Oder doch eben nur vielleicht erledigen kannst. Wenn die Zeit da ist.
Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! Darum: denk an deine Ideale. Von achtsamer Morgenroutine. Denk an deine Träume von verbessertem Teamwork. Vom flacherem Bauch vielleicht auch. Vom leichteren Leben. Vom Verstehen-Wollen der Unverstandenen. Von der Hilfe für die, die Hilfe brauchen. Denke dran. Doch lass Dich nicht von ihnen beherrschen. Lebe so, dass Du mit Deinen Idealen und Träumen befreundet bleibst. Dass sie nicht in Vergessenheit geraten. Nicht bei Dir und auch nicht bei den anderen!
Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist! Darum noch ein barmherzige Aufgabe: vergiss!. Ja, vergiss es, noch in diesem Monat, jetzt aber, nun wirklich, während dieser schwierigen Zeiten eine bessere, nettere, geduldigere, erfolgreichere, hübschere, gebildetere, sanftmütigere Frau (oder Mann) zu werden. Und falls es sich zufällig doch ereignet, so nimm es barmherzig an.
Denk dran: Es ist Januar und jeden Tag ist es nun zwei Minuten länger hell als am Tag zuvor – völlig ohne dass du irgendwas dazu beiträgst. Es ist erst Januar. Und eine mögliche Aufgabe heißt: Sei barmherzig mit Dir – so wie auch unsere Mutter im Himmel barmherzig ist. Und wenn Du’s nicht bist, ist sie es immer noch.
1. Silvester war schön. Raclette zusammen mit einem befreundeten Paar. Ganz ruhig. Bis um Mitternacht es dann doch sehr laut wurde. Draußen. Die arme Katze. Nicht wie all die Jahre sonst weggesperrt. Trotz längeren Rufens und Tür-offen-stehen-lassens kam sie nicht. Aber dann war sie doch am Neujahrsmorgen wohlbehalten zurück.
2. Ich habe, wie eigentlich immer, keine Vorsätze für das neue Jahr. Aber viele Wünsche. Mehr Normalität. Echte Begegnungen. Umarmungen.
3. Der Weihnachtsbaum steht im Wohnzimmer. Da, wo er immer steht in diesem Haus. Nun ja, fast immer stand. Mit Bienenwachskerzen auf roten Haltern. Roten Fröbelsternen in verschiedenen Größen ( selbst gebastelt). Strohsternen. Und Engeln aus Stroh. Und roten Engeln aus Hanf. Mehr nicht. Früher war mal mehr Lametta!
4. Was haben wir alles in 2020 verloren! Kaum noch Nähe, dafür Abstand, Abstand, Abstand. Und eine Handvoll lieber Menschen, die mich immer noch umarmen. Einfach so. Auch meine alte Mama. Gerade dafür liebe ich sie.
5. Es wird zu viel gehorcht. Das bringt man uns von Kindesbeinen an bei. Dabei geht alle Macht von uns aus. Vom Volk. Von den Menschen. So formuliert in unserem Grundgesetz. So dauerhaft dürfen Menschenrechte nicht genommen werden.
6. Trotzdem versuche ich immer wieder positiv zu denken. Dass die Angst vergeht. An Macht verliert. Und der Hass vergeht. Und seine Macht verliert. Dass wir uns zukünftig besser organisieren. In kleinen übersichtlichen Gemeinschaften. Mit viel Macht in den kleinen Strukturen und wenig im Großen. Habe angefangen, morgens mit Doris Dörrie im Bett zu schreiben. Mindestens 10 Minuten!
7. Was das Wochenende angeht, heute, Donnerstag Abend freue ich mich auf wieder auf den „Kommissar“ (die dvd’s gab es zu Weihnachten, morgen, Freitag, habe ich geplant, nach der Arbeit nachmittags neben dem üblichen Haushaltskram den Baum abzuschmücken und abends weiter mit dem „Kommissar“ und Sonntag möchte ich Gottesdienst feiern im Krankenhaus, wohl wie immer in letzter Zeit mit nur wenigen Teilnehmenden, danach meine älteste Freundin besuchen (97 Jahre ist erst!), dann Briefe zu schreiben und abends mit lecker Selbstgekochtem von meinem Mann mir das Bäuchlein voll schlagen und danach den Tatort sehen!
“Ich glaube, in den Schrecken des Dritten Reichs ein einzigartiges, exemplarisches, symbolisches Geschehen zu erkennen, dessen Bedeutung allerdings noch nicht erhellt wurde: die Vorankündigung einer noch größeren Katastrophe, die über der ganzen Menschheit schwebt und nur dann abgewendet werden kann, wenn wir alle es wirklich fertig bringen, Vergangenes zu begreifen, Drohendes zu bannen.“
— Primo Levi
I. Vom Vergleichen und Gleichsetzen
Ein Vergleich ist keine Gleichsetzung. Der Vergleich des gegenwärtigen Corona-Regimes mit dem „politischen Zwangssystem“ (Neumann 1977: 16) des NS-Faschismus von 1933 bis 1945 oder der autoritären SED-Herrschaft in der ehemaligen DDR stößt weitgehend auf Widerspruch und Ablehnung. Beide einheitsparteilichen Herrschaftssysteme der jüngeren deutschen Geschichte weisen sowohl bei der unmittelbaren Gegenüberstellung dramatische Unterschiede auf als auch beim Vergleich mit dem Ausnahmezustand, den die Regierung in der Mehrparteien-Bundesrepublik seit März 2010 anlässlich der viralen Infektion durch Corona verordnet hat.
Trotz der mehrheitlichen Ablehnung historischer Vergleiche erscheint es mir wichtig, redlich und aufschlussreich für die soziale und politisch-ökonomische Standortbestimmung der Gegenwart, historische Parallelen aufzuzeigen, an Vergangenes zu erinnern und die Gegenwart daran zu messen.
Eine Gegenüberstellung des geschichtsvergessenen Heute mit den Abgründen der deutschen Geschichte kann politisch sensibilisieren und aufmerksam machen auf die gegenwärtige, für die gesamte Menschheit bedrohliche Entwicklung hin in Richtung auf eine noch größere Katastrophe.
Eine solche Schreckensentwicklung wird von den Regierenden, den Medien und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Bewegungen in der Bundesrepublik allerdings vehement bestritten. Von den Befürwortern der demokratiefeindlichen Maßnahmen wird nicht zuletzt darauf hingewiesen und betont, dass sich das bundesrepublikanische Regierungssystem als “freiheitliche Demokratie” mit Entschiedenheit abgrenze vom “Unrechtsstaat” DDR sowie von Neonazis, deren Organisationen und Parteien, ebenso von “jeder Art von Antisemitismus” und ganz entschieden vom rassistischen Totalitarismus im Dritten Reich.
Nicht nur die Gleichsetzung, schon allein der Vergleich gilt als gesellschaftliches Tabu. Vor allem aber wird hervorgehoben, dass es bei der Corona-Politik um die Erhaltung von Leben geht und nicht um dessen Entwertung und Auslöschung – ob durch Zwangsarbeit, Massentötung oder Schießbefehl. Als Tabu gilt auch die Selbstverständlichkeit des Satzes: “Wo Leben ist, da ist auch Tod” (Burnet 1971: 32).
II. Unterschiede und Ähnlichkeiten
Ja, auf den ersten Blick zeigen sich Unterschiede zwischen dem Heute und der Vergangenheit. Im NS-Faschismus wurden die psychisch Kranken, Behinderten und „Lebensunwerten“ ausgemerzt. Heute hingegen, so der offizielle Tenor, werde den Alten, Schwachen und Pflegebedürftigen besondere Fürsorge zu Teil. Wo in der DDR das Stasi-System der gegenseitigen Bespitzelung herrschte, sieht die BRD-Regierung (jedenfalls vorläufig noch) davon ab, flächendeckende Kontroll-Apps verpflichtend zu machen.
Während das NS-Regime eines Propagandaministeriums bedurfte und die Medien in der DDR von der Partei kontrolliert und zensiert wurden, erfreuen sich die bundesdeutschen Medien gemäß ihrer Eigenbeschreibung einer angeblich uneingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit. Im NS-Faschismus wurden Vereine, Verbände und Gewerkschaften entweder verboten oder gleichgeschaltet. Nichts dergleichen heute.
Wo im Dritten Reich das rassistische Ideologem der rassereinen Volksgemeinschaft herrschte, wird heute an Solidarität, Humanität, Rücksichtnahme und Verantwortung appelliert. Als Werte gelten jetzt Leben und Gesundheit, Buntheit, Weltoffenheit und Diversität.
Auf der Oberfläche der Erscheinungen und gemäß dem narrativen Selbstverständnis der Bundesrepublik herrschen demokratische Zustände, Transparenz, eine unabhängige Justiz, unabhängige Medien, Freiheit und als oberstes Ziel soziale Gerechtigkeit (zumindest in Sonntagsreden). Soweit ist alles paletti.
Dennoch gibt es aber auch Parallelen, zumeist anders verpackt. Bücher werden heute nicht verbrannt, Buchhandlungen jedoch müssen schließen, Beiträge im Internet werden gelöscht, Räume für Lesungen und Vorträge werden nicht zur Verfügung gestellt. Zwar werden (noch) keine Vereine und politischen Gruppierungen verboten, aber deren Versammlungen und Kundgebungen.
Bürgerinnen und Bürger mit abweichender Meinung werden nicht als Klassenfeind oder als Jude, Zigeuner und Nutte geächtet, aber unter anderem als Verschwörungstheoretiker, Corona-Leugner, geistig beschränkt, Egoist, Impfgegner und Ansteckungsgefahr, im politischen Jargon als Faschist, Nazi oder Reichsbürger. Wer die herrschende Meinung und die Maßnahme-Verordnungen infrage stellt, ist der “Minderwertige” und “Volksschädling” von heute.
III. Dimensionen der Katastrophe
Der Autor Primo Levi (1919-1987), ein Zeitzeuge und Auschwitz-Überlebender, erblickte in den Schrecken des NS-Faschismus “die Vorankündigung einer noch größeren Katastrophe” (Levi 1979: 183). Weil dieser Gedanke – lange vor Corona geäußert – eine unvorstellbare Bedrohung ausspricht, stößt er auf Abwehr. Das Beängstigende erscheint unrealistisch zu sein, abwegig, unwirklich, “gesponnen”. Die Vorstellung einer kommenden Katastrophe wird wie die Ausgeburt eines Wahns kategorisch verworfen. Jeglicher Verdacht auf eine Verschwörung wird grundsätzlich ausgeschlossen – als lebten wir auf einer Insel der Seligen.
Die Angst begründet Denkverbote. Aber intellektuelle Redlichkeit und wissenschaftliche Neugier erfordern es, den Möglichkeiten einer Gefahr zu begegnen, sie jedenfalls nicht auszuschließen und sich mit dem Gedanken einer Bedrohung auseinanderzusetzen. In einer Demokratie wäre zu erwarten, dass Aufklärung erfolgt statt Tabuisierung.
Wer Primo Levis beängstigende Gedanken ernst und sich zu Herzen nimmt, darf sich der erkenntnisleitenden Hypothese nicht generell verschließen, dass im Verlauf der sogenannten Corona-Krise nicht nur der Bevölkerung in Ländern wie Deutschland, sondern weltweit der gesamten Menschheit eine Entwicklung droht, für die das Nazi-Regime lediglich eine Vorankündigung gewesen ist.
Die Katastrophe, die es sowohl im Sinne des Nazi-Opfers Primo Levi als auch in moralischer Verpflichtung gegenüber all den zu Unrecht ermordeten und getöteten Menschen zu bannen gilt, weist mehrere Dimensionen auf. Diese lassen sich vor dem Hintergrund vergangener Schrecken begreifen und besser verstehen.
Die Rede ist zunächst von der globalen Dimension, die auf nationale Besonderheiten und auf die Eigenschaften des jeweiligen politischen Systems keine Rücksicht nimmt. Weitere Dimensionen sind der ökonomische Krisencharakter und die Notwendigkeit einer grundlegenden Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise.
IV. Die globale Dimension
Im Unterschied zu den von einem einzelnen Land – etwa von Nazi-Deutschland oder von der UdSSR – ausgegangenen Plänen einer nationalistischen Welteroberung beziehungsweise einer sozialistischen Weltrevolution startete die Corona-Pandemie von Anbeginn als ein globales Weltereignis.
Nach einem letztlich nicht abschließend und eindeutig geklärten Erstausbruch in der chinesischen Millionenstadt Wuhan hieß es, das Virus verbreite sich exponentiell, existiere weltweit und bedrohe die gesamte Menschheit mit schweren Erkrankungen und Todesfolgen.
Die Regierungen nahezu aller Länder und jeder Couleur sind der “Schock-Strategie” des “Katastrophen-Kapitalismus” (Naomi Klein 2007) erlegen und reagierten, ausgehend von der Annahme einer globalen Pandemie, in konzertierter Aktion. Dabei machte es auch keinen Unterschied, ob die betroffenen Länder autokratisch beherrscht oder parlamentarisch-demokratisch regiert werden.
In großer Einmütigkeit befolgten die Regierenden die Weisungen einer Reihe von nicht demokratisch legitimierten Super-Organisationen und Reichen-Zusammenschlüssen. Auf internationaler Ebene sind dies unter anderem die World Health Organisation (WHO), das Weltwirtschaftsforum (WEF), das Johns Hopkins Center for Health Security (JHCHS) sowie diverse Stiftungen, darunter die Rockefeller und die Bill & Melinda Gates Foundation. Die deutsche Bundesregierung stützt sich darüber hinaus auf das Robert Koch-Institut und die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina.
V. Die ökonomische Krisendimension
Die Corona-Pandemie weist nicht nur eine weltumspannende Infektionsdimension auf. Sie steht außerdem (und nicht zuletzt) im Zusammenhang mit einer ökonomischen, wirtschafts-, finanz- und handelspolitischen Weltkrise. Als Folge unter anderem des tendenziellen Falls der Profitrate (siehe Krüger 2019) erschüttert sie im Weltmaßstab das kapitalistische System.
Die Krisendimension des Kapitalismus verlangt entweder nach kriegerischer Zerstörung oder sie erfordert eine grundlegende Umwälzung der Produktionsweise, indem die Produktivkräfte im Sinn einer neuen industriellen Revolution umgeschichtet und neu austariert werden.
Die politisch-ökonomische Dimension der von Primo Levi angedeuteten “Katastrophe, die über der ganzen Menschheit schweb”, erfordert entweder territoriale Eroberungen und Wiederaufbaumaßnahmen im Gefolge destruktiver Zerstörungen durch einen Dritten Weltkrieg. Oder es wird die Entwicklung und Durchsetzung neuer Methoden der Mehrwertproduktion vorangetrieben.
Deren Einführung geht eine “schöpferische Zerstörung” (Joseph Schumpeter 2005) voraus, das heißt einerseits die Vernichtung eines Teils der bisherigen Güter und Produktionsverfahren sowie die Ablösung bestehender Märkte und ihrer Akteure. Wir erleben dies gegenwärtig im Mittelstand und Verkehrsbereich, bei den kleinen und mittleren Betrieben und Geschäften, beim Kulturangebot und den sogenannten Soloselbstständigen.
Andererseits erfordert das “Schöpferische” die innovative Einführung und Ausbreitung neuer Technologien, Produkte, Dienstleistungen, Methoden und Geschäftsmodelle. Online-Bestellungen und Lieferdienste haben Konjunktur. Das Lernen auf Distanz per Laptop, Zoom-Konferenzen und Home Office werden zur Selbstverständlichkeit. Ordnungs- und Gesundheitsverwaltungen werden digital aufgerüstet.
Die innovativen Elemente der neuen Produktionsweise basieren darauf, dass die Produzenten ‘reell’ unter das Kapital und seine Oberherrschaft subsumiert werden.
Das heißt, die Produzierenden werden der Produktion im wortwörtlichen Sinne einverleibt. Sie werden in ihrer leiblich-biologischen Verfasstheit als körperliches, psychisches und geistig-intelligentes Wesen integraler Bestandteil der Maschinenwelt. Sie sind nicht mehr wie der herkömmliche Industriearbeiter an der Maschine oder am Fließband, auf dem Bau oder im Büro ‘formell’ subsumiert: per Arbeitsvertrag, diszipliniert und zugerichtet.
Als Hebel, um diese Umwälzung zu bewerkstelligen, erweisen sich zwei ‘revolutionäre’ Methoden der Produktivkraftentwicklung. Sie sind innovativ und umfassen sämtliche vitalen und mentalen Lebensbereiche, indem sie diese unter ihre Kontrolle bringen (“subsumieren”): Zum einen die Digitalisierung und andererseits die Biopolitik. Letztere steht nachfolgend im Mittelpunkt, weil sie am deutlichsten die Verbindung zur rassistischen NS-Eugenik erkennen lässt.
IV. Der biopolitische Rassismus
Die Biopolitik wurde als Theorem von Michel Foucault konzipiert (siehe Foucault 1984). Als politisch-ökonomische Praxis steht sie einerseits in der Eugenik-Tradition des rassistischen NS-Faschismus. Andererseits weist sie darüber hinaus und unterscheidet sich auf diese Weise vom eliminierenden Charakter der arischen Rassenhygiene.
Ihr “positiver Rassismus” (Philipp Sarasin 2003) zielt nicht in erster Linie auf die Sozialhygiene des “Volkskörpers” ab. Dieser sollte nach Maßgabe der Eugenik von angeblich degenerierten und degenerierenden, das Volkskollektiv von innen bedrohenden Kräften “gesäubert” werden. Die “Reinigung von defekten Individuen” durch “die eugenischen Projekte der selektiven Reproduktion, Sterilisation, Inhaftierung” war bei den faschistischen Rassehygienikern ein wesentlicher Bestandteil ihrer “Sorge für das Leben” (Rose 2014: 423).
Scheinbar harmlos hingegen gaukelt der biopolitische Rassismus unserer Tage vor, nur das Beste für die Menschen als einzelnes Individuum zu wollen. “Die Norm individueller Gesundheit ersetzte die der Bevölkerungsqualität” (Rose 2014: 444) – wobei der Gesundheitsbegriff so konzipiert ist, dass er medizinische Kontrollen und Eingriffe legitimiert.
In erster Linie bezweckt Biopolitik, das genetische Material der Individuen zu manipulieren (zu “verbessern”), um im Rahmen der Fortpflanzung und ihrer Überwachung Fehlbildungen zu vermindern oder sie überhaupt zu vermeiden. Die Auswirkungen der toxischen Belastungen von Umwelt, Luft und Nahrungsmitteln, aber auch durch Medikamente spielen dabei keine Rolle. Es vollzieht sich die “Medikalisierung der Gesellschaft” (Geulen 2005: 96). “Es geht darum, das Leben zu erfassen, die biologischen Prozesse der Spezies Mensch” (Foucault 1992: 34).
Am Beispiel des Umgangs mit der viralen Corona-Infektion zeigt sich die biologistisch verkürzte Ignoranz ebenfalls. Aus virologischer Sicht völlig verkannt – und geleugnet! – wird die schon vor mehr als 100 Jahren etwa von Émile Duclaux (1902) vertretene Einsicht, “dass die Verbreitung, Heftigkeit und Dauer übertragbarer Krankheiten nicht nur die Infektionsquellen umfasste, sondern auch viele andere Faktoren wie Ernährung, Arbeits- und Lebensbedingungen, Ausbildung und Einkommen” (Rosen 1975: 109).
Längst überschreiten sowohl die medizinischen Eingriffe als auch die Selbstmedikation bei weitem die Grenzen der genetischen Korrektur. Als Beispiele zu nennen sind unter anderen: Geschlechtsumwandlung, Schönheitsoperationen, Glückspillen, künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft, Designer-Babies, Viagra zur Stärkung der männlichen Sexualität.
Wie die “Gemeinschaftsfremden” in der NS-Terminologie unterschieden wurden von den “arischen Volksgenossen” als den “guten, sozialen, gesunden und glücklichen Menschen” (Dörner 2002: 80), so orientiert sich das biopolitische Leit- und Menschenbild an der Marketing-Vision von Ästhetik und biologischer (Schein-)Perfektion einerseits und der Gender-Diversität von Lebensentwürfen andererseits.
VII. Das biopolitische Kontroll-Dispositiv
“Das Leben wurde sozusagen molekularisiert” (Rose 2014: 445) und auf diese Weise unter Kontrolle gebracht. Überwachung bildet die Voraussetzung für biopolitische ‘Verbesserungen’ und ‘Gefahrenabwehr’. Die Kontrolle erfolgt vielschichtig: durch ‘Experten’, durch amtliche und polizeiliche Kontrollagenten, durch digitale Überwachung und nicht zuletzt auch in Form der Selbstkontrolle. Kontrollinstrumente sind Tests und symbolische Zeichen wie zum Beispiel das Tragen einer Mund-Nasen-Maske.
Bedeutsam ist, dass die biopolitischen “Kontrollgesellschaften” (Gilles Deleuze) bei den historisch vorausgegangenen Disziplinargesellschaften aufsatteln: bei denen des 18. und 19. Jahrhunderts (in Deutschland beim preußischen Polizei-, Obrigkeits- und Militärstaat und dem Wilhelminismus) und ebenso bei denen des 20. Jahrhunderts (in Deutschland beim totalitären NS-Staat und bei der SED-Diktatur).
Die biopolitische Kontrollgesellschaft zeigt sich nicht immer in Reinform. In Deutschland – aber nicht nur hier – ist sie infiziert und durchsetzt mit obrigkeitsstaatlichen, autoritären und faschistoiden Spurenelementen.
Angesichts der biopolitischen Maßnahmen zur Kontrolle – aktuell im Rahmen des Corona-Regimes – sind diese Spuren vor allem erkennbar im Rahmen der Überwachung. Diese erfolgt sowohl im internationalen Maßstab (siehe Schreyer 2020) als auch national und regional. Letzteres durch Polizei, Militärangehörige, die Mitarbeiter der Ordnungs- und Gesundheitsämter sowie in Gestalt der staatlich verordneten Maßnahmen zur Beschneidung der Grund- und Freiheitsrechte mittels Quarantäne, Einschränkungen der Berufsausübung, Versammlungs- und Demonstrationsverboten, Besuchsreglementierungen, Maskenpflicht und so weiter.
Im Zusammenhang des Kontroll-Dispositivs ist ferner auf die nicht hinterfragte, weitestgehend affirmative Wiedergabe hoheitlicher Erklärungen durch die ‘eingebetteten’ Medien hinzuweisen beziehungsweise auf die Verhinderung und Löschung von kritischen Gegenmeinungen im Internet und den sozialen Medien.
Nicht zuletzt wird Kontrolle auch ausgeübt durch Denunziation und die gesellschaftliche Ausgrenzung oppositioneller Meinungen und Organisationen, ferner durch die herabsetzende Diffamierung ihrer Anhänger, auch im zwischenmenschlichen Bereich: unter Kollegen, Nachbarn und ehemaligen Freunden.
Wer sich nicht widerspruchslos dem Kontrollschema unterwirft und sich nicht anpasst, wird sozial geächtet.
VIII. Die ökonomische Dimension der Biotechnologie
Biopolitik hat nicht nur eine gesellschaftliche und staatliche, sondern auch eine bioökonomische und -technologische Seite. Letztere war zunächst “das Ergebnis einer ganzen Reihe von gesetzgeberischen und regulatorischen Maßnahmen, die dazu bestimmt waren, die Wirtschaftsproduktion auf die generische, mikrobielle und zelluläre Ebene zu verlagern, sodass das Leben dem kapitalistischen Akkumulationsprozess wortwörtlich einverleibt wird” (Cooper 2014: 473).
Dies gilt sowohl für die USA, auf die sich das Zitat bezieht, in gleicherweise aber auch für Deutschland, das seit den Weltkriegen mit dem lebenswissenschaftlichen, pharmakologischen und biotechnologischen Zweig der Entwicklung in der nordamerikanischen Wirtschaft verbunden ist (siehe Borkin 1986).
Seit den 1980er-Jahren wurde die staatliche Förderung universitärer und privatwirtschaftlicher Forschung im Bereich der Lebenswissenschaften und der “Lebensbewirtschaftung” (Hartmann 2002: 129) verstärkt. Zur gleichen Zeit erfolgte die Deregulierung des Bankwesens und der Finanzmärkte. Dies alles hatte einen Boom der biotechnologischen und pharmazeutischen Forschung zur Folge.
Für die moderne Biotechnologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren vor allem neue Formen der biologischen Reproduktion von Bedeutung. Während des späten 20. und frühen 21. Jahrhundert indes befasste die Biotechnologie sich “vornehmlich mit der Reproduktion standardisierter Lebensformen in industriellem Maßstab”, ausgehend “von der Pflanzenselektion und -hybridisierung bis zur Reproduktionsmedizin bei Tieren” (Cooper 2014: 494). Die Verbindung von Forschung im Labor und Produktion in der Fabrik lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die Biotechnologie-Industrie wurde zu einem wichtigen Faktor für die Klonforschung. “Die Pharma-Industrie war zentral für die Forschung im Bereich der Neurochemie, … Gentechnikfirmen (wurden bedeutsam) für die Sequenzierung des menschlichen Genoms” (Rose 2014: 448).
Dabei ist zu bedenken: “Auf der molekularen Ebene ist das Leben nur mittels komplizierter und teurer Apparaturen zu erkennen: Elektronenmikroskope, Ultrazentrifugen, Elektrophorese, Spektroskopie, Röntgenbeugung, Isotopen- und Szintillationszählung in Verbindung mit den Möglichkeiten der Computer zur Datenverarbeitung und jetzt der Kapazität des Internets zur Informationsverarbeitung” (Ebd.).
Daraus folgt, dass „die Politik der Lebenswissenschaften – die Politik des Lebens selbst – von denjenigen geprägt (wird), die die menschlichen, technischen und finanziellen Ressourcen kontrollieren, die notwendig sind, um solche Unternehmungen zu finanzieren” (Ebd.). Die Interessen dieser relativ Wenigen unterliegen keinen demokratischen Entscheidungen; sie werden getroffen, ohne die Vielen an den Entscheidungsprozessen über das Leben – ihr Leben! – teilhaben zu lassen.
IX. Biopolitik und Digitalisierung
Der Hinweis auf die Relevanz digitaler Daten- und Informationsverarbeitung im Kontext der Biopolitik unterstreicht, dass es sich bei der Digitalisierung (siehe Bruder u. a. 2020) um ein weiteres zentrales Instrument der Entwicklung der Produktivkräfte “in der gegenwärtigen Offensive kapitalistischer Reorganisation” (Hartmann 2020: 161) handelt.
Die IT-Industrien gelten ebenso wie die Biotechnologie als geeignet, die weltweite Wirtschaftskrise zu bewältigen und dem Fall der Profitrate zu begegnen – allerdings, wie schon im BioTech-Bereich zu beobachten, gleichfalls im Interesse derer, welche die Kontrolle ausüben über das Know-how, die technischen Voraussetzungen und die finanziellen Mittel.
Ermöglicht durch die Corona-Krise kommen die Unternehmen der Digitalindustrie – die “Internet-Kapitalisten: Google, Facebook, Amazon & Co” (Rügemer 2018) – weltweit in den Genuss der Ausweitung ihrer Märkte und zu einer Unzahl neuer Aufträge und Profitmöglichkeiten. Künstliche Intelligenz und der Ausbau des Mobilfunks durch 5G-Sendeanlagen (Gutbier/Hensinger 2019) erweitern die bisherigen Geschäfts- und Risikobereiche im Rahmen des “Überwachungskapitalismus” (Zuboff 2018).
Sie erschließen aber auch zusätzliche Geschäftsbereiche, welche mit gesundheitlich riskanten Folgen belastet sind. Diese werden dann ihrerseits wieder biopolitische Forschungen und medizinische Eingriffe zur Folge haben. Der Kreislauf der Profitsteigerung zwischen Bioökonomie und Digitalwirtschaft scheint endlos zu sein.
Durch den unbeschränkten Zugriff auf persönliche Daten generieren die Internetwirtschaft und die gesamte Digitalbranche Gewinne und Machtzuwächse.
Zusätzlich erhält die Digitalbranche vonseiten der Regierungen Subventionen und Förderung aus Steuermitteln. Im Interesse der Bevölkerungskontrolle und der Konsumsteuerung ist sowohl dem Staat als auch den Unternehmen an der reibungslosen Kooperation mit dem expandierenden Digitalsektor gelegen. Die Internetwirtschaft liefert den staatlichen Organen Know-how, Daten, Informationen und “Technologien politischer Kontrolle” (Troia 2005).
Allein in der Bundesrepublik wird der weitere Ausbau der bereits vorhandenen digitalen Infrastruktur in Höhe von knapp vier Milliarden Euro finanziert. Für die Entwicklung und Einrichtung neuer digitaler Technologien werden weitere elf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mit einer Gesamtsumme von zusätzlich knapp 34 Milliarden Euro wird die Digitalisierung in sogenannten “gesamtgesellschaftlich relevanten Bereichen” staatlich gefördert: in der Wirtschaft, der Kultur, der Politik und Verwaltung, dem Schul- und Gesundheitswesen sowie beim Militär.
X. Bilanz
In der gegenwärtigen Corona-Krise bekommen Biopolitik und Digitalisierung ein Ausmaß und eine Bedeutung mit Folgen, die jene der rassistischen Eugenik bei Weitem übertreffen. Erst recht übertreffen sie den Stellenwert der Spitzel- und Überwachungssysteme der Disziplinar-, Kontroll- und Eliminierungsgesellschaften in der jüngsten Geschichte. Historische Parallelen allein vermögen daher die Intensität und das Ausmaß der Bedrohung durch Biopolitik und Digitalisierung nicht zu erfassen. Die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen des Corona-Regimes vermitteln zunächst nur eine viel zu harmlose Ahnung davon.
Es ist nicht unrealistisch, sondern redlich und verantwortungsvoll, Primo Levis Diktum ernst zu nehmen, vom Unvorstellbaren und Undenkbaren auszugehen.
Ebenso wie bei der Atombombe, den Folgen der Nuklearenergie, der Klimaveränderung, der militärischen Rüstung und der ‘modernen’ Kriegsführung mit Cyber- und Biowaffen ist die Warnung berechtigt, dass es sich bei den bisher in der Geschichte erlebten Schrecken “nur” um die Vorankündigung einer noch größeren, die gesamte Menschheit erfassenden Katastrophe handeln könnte – eine Katastrophe, die nach Primo Levi “nur dann abgewendet werden kann, wenn wir alle es wirklich fertig bringen, Vergangenes zu begreifen, Drohendes zu bannen”.
Um eine politisch-ökonomische Standortbestimmung der Gegenwart vornehmen zu können, ist es erforderlich und hilfreich, historische Parallelen aufzuzeigen. Allein dabei stehen zu bleiben, versperrt aber den Blick auf die erkennbaren Abgründe der Gegenwart. Das gebannte Starren auf die schuldhafte Vergangenheit vereitelt den kritischen Durchblick. Es macht das Bewusstsein davon zunichte, dass die Menschen permanent – und nicht nur sporadisch, etwa bei Wahlen – selbstverantwortlich sind für ein humanes Leben in Frieden und Freiheit.
Wenn die neue industrielle Revolution im Rahmen der Biopolitik und der Digitalökonomie nicht die völlige Versklavung der Menschheit auf neuer, transhumanistischer Stufe (siehe Loh 2018) zur Folge haben soll, ist die Zeit für den sozialrevolutionären Widerstand gekommen.
Angesichts dessen ist festzuhalten, dass linke Parteien und Organisationen in Deutschland derzeit völlig versagen, und das nicht zum ersten Mal. Umso wichtiger ist es, dass es von der gesellschaftlichen Basis her offen beziehungsweise subversiv gelingt, auf Primo Levi zu hören und endlich bewusst “Vergangenes zu begreifen, Drohendes zu bannen”.
Zitierte und erwähnte Literatur
(1) Borkin, Joseph (1979, 1986): Die unheilige Allianz der I. G. Farben. Eine Interessengemeinschaft im Dritten Reich (Frankfurt/Main).
(2) Bruder, Klaus Jürgen / Bialluch, Christoph / Günther, Jürgen / Nielsen, Bernd / Zimmering, Raina: “Digitalisierung” – Sirenengesänge oder Schlachtruf einer kannibalistischen Weltordnung (Frankfurt am Main).
(3) Burnet, Frank Macfarlane (1971): Naturgeschichte der Infektionskrankheiten des Menschen (Frankfurt am Main).
(4) Cooper, Melinda (2014): Leben jenseits der Grenzen. Die Erfindung der Bioökonomie. In: Folkers/Lemke: 468-524.
(5) Deleuze, Gilles (2014): Postskriptum über die Kontrollgesellschaften. In: Folkerts/Lemke: 127-133.
(6) Deppe, Hans-Ulrich / Regus, Michael (1975): Seminar: Medizin, Gesellschaft, Geschichte. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Medizinsoziologie (Frankfurt am Main).
(7) Dörner, Klaus (2002): Tödliches Mitleid. Zur Sozialen Frage der Unerträglichkeit des Lebens (Neumünster).
(9) Folkers, Andreas / Lemke, Thomas (2014): Biopolitik. Ein Reader (Frankfurt am Main).
(10) Foucault, Michel (1984): Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (München).
(11) Foucault, Michel (1992): Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus. In: Reinfeld/Schwarz 1992.
(12) Geulen, Eva (2005): Giorgio Agamben zur Einführung (Hamburg).
(13) Gutbier, Jörn / Hensinger, Peter (2019): Mobilfunk, 5G-Risiken, Alternativen. Einführung in die Auseinandersetzungen um eine strahlende Technologie (Basel),
(14) Hartmann, Detlef (2020): Die Rolle der IT-Industrien in der gegenwärtigen Offensive kapitalistischer Reorganisation und die Perspektiven von Widerstand und sozialer Revolution. In: Bruder u. a. 2020: 161-176.
(15) Hartmann, Detlef (2002): “Empire”. Linkes Ticket für die Reise nach rechts. Umbrüche der Philosophiepolitik (Berlin, Hamburg, Göttingen).
(16) Klein, Naomi (2007): Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus (Frankfurt am Main).
(17) Krüger, Stephan (2019): Profitraten und Kapitalakkumulation in der Weltwirtschaft. Arbeits- und Betriebsweisen seit dem 19. Jahrhundert und der bevorstehende Epochenwechsel (Hamburg).
(18) Levi, Primo (1979): Ist das ein Mensch? Erinnerungen an Auschwitz (Frankfurt am Main).
(19) Loh, Janina (2018): Trans- und Posthumanismus zur Einführung (Hamburg).
(20) Neumann, Franz (1977): Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944 (Köln, Frankfurt am Main).
(21) Reinfeld, Sebastian / Schwarz, Richard (1992): Biomacht (Duisburg).
(22) Rose, Nikolas (2014): Die Politik des Lebens selbst. In: Folkers/Lemke 2014: 420-467.
(23) Rosen, George (1975): Die Entwicklung der sozialen Medizin. In: Deppe/Regus: 74-131.
(24) Rügemer, Werner (2018): Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts (Köln).
(25) Sarasin, Philipp (2003): Zweierlei Rassismus? Die Selektion des Fremden als Problem in Michel Foucaults Verbindung von Biopolitik und Rassismus. In: Stingelin, 55-79.
(26) Schreyer, Paul (2020): Chronik einer angekündigten Krise. Wie ein Virus die Welt verändern konnte (Frankfurt am Main)
(27) Schumpeter, Joseph A. (2005): Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie (Stuttgart).
(28) Stingelin, Martin (2003): Biopolitik und Rassismus (Frankfurt am Main).
In diesen Tagen gehen wir von einem Jahr ins nächste. Fragen: was lasse ich zurück? Was soll mich nicht mehr belasten? Welche Steine mich nicht mehr drücken? Was soll mich nicht weiter begleiten? Und nehmen einen Stein in die Hand, spüren seine Schwere, seine Last. Und legen ihn ganz bewusst ab am Kreuz.
Und – was nehme ich mit? Was möchte ich gern behalten, erinnern, in meiner Seele bewahren? Gute Erfahrungen, schöne Begegnungen, beglückende Ereignisse, aber auch schmerzliche Erfahrungen, an denen ich gewachsen bin? Leicht sind sie wie eine Feder und wärmend wie ein helles Licht. Das Leichte und das Leuchtende sollen mit mir gehen ins neue Jahr. Und stellen ein Licht neben das Kreuz.
Was 2021 uns bringt, wissen wir noch nicht. Begleiten wird uns Christinnen und Christen ein Jesuswort: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6,36). Barmherzig, ein altmodisches Wort. Ein mütterliches Gefühl. Es beginnt tief im Bauch, warm und weich, leuchtend und nährend. In der Bibel ist das Wort für Barmherzigkeit sprachlich ganz nah verbunden mit dem Wort für den Mutterschoß. Barmherzigkeit. Ein Bauchgefühl also, das das Herz bewegt, den ganzen Körper erfasst, alles weit und freundlich werden lässt, bis die Liebe das ganze Sein überflutet.
„Seid barmherzig!“ Barmherzigkeit, das ist eine mütterliche und väterliche Bewegung: Eltern sehen ihre Kinder an, sehen das Wunderbare und Freundliche an ihnen, spüren die Liebe, die sie für ihr Kind empfinden, und Ärger und Zorn vergehen. Was zählt, ist die Liebe. Sie bleibt. Genau so sieht Gott uns an, Dich und mich. „Du bist mein Kind!“ Das gibt uns eine eigene Würde und trägt im Leben.
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Barmherzig sein und darin Gott ähnlich werden. Barmherzig sein und beginnen, versuchen, die andern in all ihrer Verschiedenheit liebevoll zu begleiten: die Zerstrittenen und die Konkurrierenden, die Verletzten und die Schuldigen, die Armen und die Reichen, die Harmonieliebenden und die Streitbaren, die Träumerinnen und die Realisten.
„Seid barmherzig!“ Also: seht einander mit Gottes Augen an. Urteilt nicht hart übereinander, wertet einander nicht ab. Seht im andern ein geliebtes Kind Gottes, das Liebe braucht, Barmherzigkeit, einen freundlichen Blick, die Wärme einer mitmenschlichen Begegnung.
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ Barmherzigkeit wird lebendig: mit Augen, die die Not anderer sehen. Mit Herzen, die mitfühlen. Und in der Freude daran, anderen zu helfen. Barmherzig sein und das mir Mögliche tun, um diese Welt besser zu machen. Zusammen mit anderen. Netzwerke knüpfen, Hilfe organisieren, anderen helfen. Ein mitfühlendes Herz haben. Manches fällt leicht, anderes fordert uns heraus, kostet Mut und Geduld.
Mein Segen der Barmherzigkeit für 2021:
Gottes Barmherzigkeit berühre Dich warm und liebevoll.
Du bist Gottes Kind!
Gott sehe Dich liebevoll an.
Ermutige Dich, Fehler und Irrwege anzusehen.
Vergebe Dir.
Schenke Dir neue Wege zu Frieden und Versöhnung.
Dein Herz sei weich und barmherzig.
Dass Du im Menschen neben Dir Gottes geliebtes Kind siehst,
mit Sehnsüchten und Träumen, mit Not und Angst.
Dass Du losgehst und hilfst.
Und mit Deiner kleinen Kraft
unsere Welt liebevoller, menschlicher, barmherziger machst.
Gott segne Dich mit allem Guten.
Und mit der Liebe der Menschen, die Gott Dir anvertraut!
„Guter Hoffnung“ – so heißt ein Bio-Kräutertee für Schwangere. Mit vielen guten Zutaten aus der Apotheke Gottes: Kamille, Zitronenmelisse und Lavendel, Pfefferminze und Ingwer und Birkenblätter. Sie sind „guter Hoffnung“ – so sagten wir früher von schwangeren Frauen. Sie tragen ein Kind „unter dem Herzen“. Voll Vertrauen. Guter Hoffnung eben.
— Guter Hoffnung. Frauen vertrauen auf das Leben. Auf die Rhythmen der Natur. Vertrauen auf die eigene Kraft und Stärke. Vertrauen dem Partner, auf die sie begleitende Hebamme, auf eine Freundin. Umschlossen vom Urvertrauen, von der Liebe zum Leben. Gute Hoffnung, die auch Leid und Enttäuschung erträgt. Gute Hoffnung, die gar nicht so selten jäh endet. Viele Frauen in aller Welt, die ein Kind verloren haben , stellen am kommenden Sonntag, am 3. Advent, wieder abends um 19.00 Uhr eine Kerze ins Fenster. Um uns und sich zu erinnern, an die vielen Sternenkinder – beim world wide candle lightning – leuchtende Zeichen der Hoffnung, die bleibt. — Gute Hoffnung wächst aus Vertrauen. „Guter Hoffnung sein“ heißt, die Möglichkeit zu erwarten, dass alles gut sein wird. Solche Hoffnung wirkt stärkend. Aus Vertrauen und Hoffnung wächst Gelassenheit. Wenn wir gelassen sind, unterscheiden wir zwischen dem, was wir tun können, und dem, was unser Handeln bei weitem übersteigt. — Guter Hoffnung war auch Maria. Damals. In biblischer Zeit. Genauso wie Elisabeth, ihre Cousine. Guter Hoffnung beide. Und sie begegnen sich. Maria kommt über den Berg. Und Elisabeth hat einen verstummten Mann zuhause sitzen. Dem es die Sprache verschlagen hat angesichts der Begegnung mit einem Engel. Große Freude bei den beiden Frauen über das Wiedersehen. Guter Hoffnung sind sie beide. Hoffen auf die Befreiung von der Scham. Mysteriöse Begleitumstände ihrer Schwangerschaften bei beiden. Das gib Gesprächsstoff für Wochen. Und währenddessen wächst Leben in ihnen heran, Gotteskinder. Ich stelle mir vor, wie sie sich in den Armen liegen und sich freuen. Voll guter Hoffnung. Wie sie reden von ihren kleinen und großen Alltagssorgen, über die Beschwernisse und Freuden der Schwangerschaft. Die schon recht alte Elisabeth, die so lange schon mit der Schande der Kinderlosigkeit leben musste. Und die noch recht junge Maria, die nun auch in Schande geraten ist. Weil sie unverheiratet schwanger wurde. — Guter Hoffnung alle beide. Und so trinken sie Tee und tuscheln und lachen. Und werden ganz ernst. Weil die göttliche Verheißung eigentlich unfassbar scheint , die auf ihnen und ihren Kindern liegt. Und immer wieder die Hände auf dem Bauch, guter Hoffnung eben. So wünsche ich mir die kommende Zeit, die Adventszeit, auch für uns: — Guter Hoffnung sein, noch etwas vom Leben und von Gott erwarten. Über den Berg gehen, die alltäglichen Sorgen und Schwierigkeiten überwinden. Lachen mit Freundinnen und Freunden. Guter Hoffnung sein und sich dem Unglaublichen stellen: dass auf dem, was wir in uns tragen an Ideen, Lebendigkeit, an Geheimnisvollen … dass auf all dem Gottes Segen liegt. Guter Hoffnung sein im Advent. Und wir einstimmen in den großen Jubel Marias, in ihr großes Hoffnungs-Lied (aus Lukas 1,46ff, Bibel in gerechter Sprache): „Meine Seele lobt die Lebendige, und mein Geist jubelt über Gott, die mich rettet. Seht, von nun an werden mich alle Generationen glücklich preisen, denn Großes hat die göttliche Macht an mir getan, und heilig ist ihr Name. Sie hat Gewaltiges bewirkt. Mit ihrem Arm hat sie die auseinander getrieben, die ihr Herz darauf gerichtet haben, sich über andere zu erheben. Sie hat Mächtige von den Thronen gestürzt und Erniedrigte erhöht, Hungernde hat sie mit Gutem gefüllt und Reiche leer weggeschickt.“ — Welch starke, hoffnungsvolle Worte! Voll guter Hoffnung. Gott, du Trösterin und Zuflucht, steh uns bei in schwierigen Situationen, damit uns die Hoffnung bleib t. Dass Gott uns segne und behüte, heute, morgen und in Ewigkeit. Lass uns guter Hoffnung sein!
Beruflich (ich bin Pfarrerin) ist der November schon lange Trauermonat für mich. Mit dem Volkstrauertag und dem Totensonntag. Und dem Gedenken an die Reichsprogromnacht am 9. November.
Besonders die Ausgestaltung des Totengedenkens der Verstorbenen des vergangenen Kirchenjahres ist mir immer eine Herzenssache. Die Namen werden genannt, die Toten werden erinnert und Gott vorgehalten. Bei Gott sind sie unvergessen – und sie bleiben es. Die Trauernden entzünden Lichter. Texte, Gebete und Predigt wollen berühren und trösten.
In diesem Jahr bin ich am Totensonntag in meinem Krankenhaus mit einem Gottesdienst präsent. Heute, am 22.11.2020. Sehr wahrscheinlich sind auch Trauernde unter den Patienten und Patientinnen, die am Fernseher mit dabei sind. Anders geht es ja grad nicht. Auch wenn bis 10 Patient*innen in die Kapelle kommen dürfen, es kommen schon immer nur selten welche, da die meisten viel zu krank sind. Bis Mitte März kamen auch Menschen von „draußen“ in die Krankenhauskapelle zum Gottesdienst, das ist seither untersagt. Die Küsterin und ich. Mehr sind wir jetzt nicht.
Ich spüre viel Trauer bei den Menschen. Trauer um liebe Menschen, die sie verloren haben. Trauer um das eigene Leben angesichts von schwerer Krankheit. Und Trauer um das Leben, so, wie es bisher war. Trauer um fehlende Nähe, reduzierte Kontakte, Mangel an Berührung und Zärtlichkeiten. Trauer angesichts dieses Zurückgeworfenseins auf sich selbst. Die zumeist älteren und sehr alten Kranken in meinem Hospital halten sich an die aktuellen Vorschriften. Seelsorge wird nur sparsam gewünscht. Trotz des offensichtlichen Mangels, trotz des erkennbaren Bedarfs. Aber die Angst siegt, die Angst ist stärker.
Sterbende begleiten, das wird noch nachgefragt, vor allem auch, den Familienangehörigen gut zur Seite stehen dabei. Der Verstorbenen der Klinik gedenken wir in zweimonatlichen Gedenkgottesdiensten für die Zugehörigen. Heute morgen geht es um die Trauer und Traurigkeit. Die Schwere des Novembers. Dieses Novembers besonders. Und doch möchte ich nur der Trauer, der Traurigkeit und den Tränen Raum geben. „Gib mir die Gabe der Tränen, Gott“ formulierte Dorothee Sölle es einmal sehr poetisch. „Gib mir die Gabe der Tränen!“
So viel Unbetrauertes ist unsern Leben. Verluste, Niederlagen, Erkrankungen, Abschiede, Tode. All das Schwere. Es wird Raum bekommen heute morgen in der Krankenhauskapelle. Kerzen werde ich entzünden, mit und für die Lebenden und die Toten beten, Trostworte aus der Bibel lesen, aus dem Buch der Offenbarung, Kapitel 21, Verse 1-7 BigS:
1 Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.
Denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen.
Das Meer ist nicht mehr.
2 Die heilige Stadt Jerusalem, die neue,
sah ich aus dem Himmel herabsteigen,
von Gott bereitet wie eine Braut,
geschmückt für ihren Mann.
3 Ich hörte eine laute Stimme vom Thron:
„Da! die Behausung Gottes bei den Menschen.
Gott wird bei ihnen wohnen.
Sie werden Gottes Völker sein,
und Gott – Gott wird bei ihnen sein.
4 Gott wird jede Träne von ihren Augen abwischen.
Der Tod wird nicht mehr sein.
Auch Trauer, Wehgeschrei und Schinderei wird nicht mehr sein.
Das Erste ist vergangen.“
5 Die Person, die auf dem Thron saß, sagte:
„Da! neu mache ich alles!“
und fügt hinzu: „Schreib! Ja, diese Worte sind verlässlich und wahr!“
6 Und sie sagte mir: „Es ist geschehen.
Ich bin das Alpha und das O, der Anfang und das Ende.
Ich werde den Dürstenden
aus der Quelle des Lebenswassers umsonst geben.
7 Die sich nicht unterkriegen lassen,
werden dies erben.
Ich werde ihnen Gott sein,
und sie werden mir Sohn und Tochter sein.“
Und dazu dann ungefähr so weitersprechen:
„Gib mir die gabe der tränen gott“, sagt Dorothee Sölle in einem Gedicht, „wie kann ich reden, wenn ich vergessen habe, wie man weint“ (D. Sölle in: fliegen lernen, gedichte, Berlin 1979, S. 35). „Gib mir die gabe der tränen gott“. Das sagt mir: Tränen sind eine Gottesgabe. Eine Gottesgabe, die gut tut. Die auch Männer weinen können. Die auch Jesus geweint hat.
Als Kinder wussten wir noch: Tränen tun gut. Wir hofften, dass sie getrocknet werden, und wurden in unserer Hoffnung meist nicht enttäuscht. Tränen helfen gegen den Schmerz und gegen die Trauer. Wenn wir weinen, sehnen wir uns nach Trost und nach dem Heil: „Es wird alles wieder gut.“ Und das auch und gerade, weil wir als Erwachsene wissen: oft wird gar nichts gut. Zum Erwachsen werden gehört das Enttäuscht-werden, und auch, dass sich manchmal Unglück auf Unglück häuft und wir nicht mehr weiter wissen.
„Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten“ (Ps 126, 5 Luther), sagt der Psalmbeter – und verlässt sich darauf, dass Gott dies Versprechen einlöst. Vielleicht nicht immer sofort. Jede Trauer ist anders. Jeder trauernde Mensch braucht etwas anderes. Bei jedem Menschen verläuft der Prozess anders. Und doch sehnen sich alle danach, getröstet zu werden, danach, dass jemand da ist, der oder die in den Arm nimmt und sagt: „Alles wird wieder gut. Komm, ich wische deine Tränen ab.“
Kein Vertrösten ist gemeint. Gott sieht nicht über unsere Tränen hinweg. Gott nimmt sie wahr und wischt sie ab. Diese Sehnsucht bestimmt die Vision des Johannes. Und es ist tröstlich, sich Gott so nah, so zärtlich vorzustellen: Wie eine Mutter, wie ein Vater nimmt Gott uns in den Arm, berührt zärtlich unser Gesicht und trocknet die Tränen. Gott hält die Tränen aus, bleibt bei uns in unserm Schmerz, und verspricht: „Alles wird anders, alles wird neu!“
Ja, Gott macht alles neu. Darum hoffe ich darauf, dass Gott den Tod und die todbringenden Mächte besiegt. Was mich dabei antreibt: Die Vision einer neuen Welt, in der Gott bei uns wohnen wird, in der keine Schinderei, kein Wehgeschrei, kein Tod und keine Trauer mehr sein wird, weil Gott alles neu macht.
Das Abendmahl werde ich auch feiern. Und nach dem Gottesdienst hoffentlich in ein paar Zimmer bringen, mit mutigen Patient*innen, die sich dafür angemeldet haben. Als Wegzehrung. Und Stärkung. Als Ermutigung. Als Zeichen: Gott mach alles neu.
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Mir persönlich ist der November auch ein sehr besonderer Monat. Meine Lieblings-Oma, mein Lieblings-Vater und mein Lieblings-Onkel sind im November gestorben. Drei Menschen, die ich nach wie vor sehr vermisse. Die ich so gerne noch so vieles fragen würde. Über Zeiten in meinem Leben, in denen sie meine Zeugen und Zeuginnen waren, weil sie sich erinnern und ich mich nicht, weil ich noch viel zu klein war, um mich erinnern zu können.
Letztes Jahr im November habe ich meinen Toten Briefe geschrieben. Da habe ich meine vielen nicht mehr zu beantwortenden Fragen wenigstens mal gestellt. Nach meiner beidseitigen Hüftgelenk-Implantat- OP tat mir das in der Reha sehr gut. An alle habe ich geschrieben, auch an meine andere Oma und an meinen Opa. Und an meine Mutter. Die sich aber nicht mehr erinnert. Das hat gut getan. Das Schreiben der Briefe an meine Toten schenkte mir die Gabe der Tränen. Und so habe ich Frieden geschlossen mit meinem schweren Start ins Leben. Der sich ja nicht mehr ändern lässt.
Heute nachmittag werde ich meine Briefe an meine geliebten Toten wieder lesen. Und spüren und merken, wo und wie ich weiter gekommen bin. Und ein bisschen traurig sein um mich selbst. Und doch auch ihre Nähe, ihr Bei-mir- und Um-mich-sein fühlen. Und ein starkes Traurigsein wird mich ergreifen, weil sie ja doch nicht mehr da sind und mir doch – immer noch – so fehlen. Besonders in diesen seltsamen Zeiten. Die so voller Angst sind. Vor dem Tod. Vor dem Leben. Vor dem vollen Leben angesichts des Todes. Meine Toten könnten mir sicher viel sagen und erzählen, und vor allem könnten sie mich in den Arm nehmen und sagen: „Alles wird wieder gut. Komm, ich wische deine Tränen ab.“ Nähe macht lebendig.
alle eure Gedichte in den Aktenordner in die Klarsichthüllen zwischenabgelegt …und weil wir gerade bei den wortgeschöpften Angelegenheiten angelangt sind, pulst schon der nächste Impuls) Unser Impuls No.13 lautet : „Zwischenmenschen“ Küsst eure Muse und an die Feder fertig los. noch ein kleiner Vers für euch; zum Thema und zur Ermuntrung:
das Duftkissen küste dufte bis ein Knauf es knufte
"Es tanzen tausend Gedanken, im Mondschein, wollen frei sein. Eine leise Melodie, aus Blütenstaub formt eine Sinfonie.[...]" (Die Kraft der Feenmelodie)
Zuhause ist wo das Herz ist. In meinem Fall wohnen darin drei Kerle. Auf meinem Familienblog findest du allerlei Buchtipps, manchmal auch Rezepte und DIY, vor allem aber eine Menge ermutigende Gedanken.