PREDIGTtext aus der Bibel in gerechter Sprache BIGS 2011
Genesis. Das erste Buch der Tora (1. Mose) 4,1-16a
1 Dann erkannte der Mensch als Mann die Eva, seine Frau; sie wurde schwanger, gebar den Kain und sprach: „Ich hab’s gekonnt, einen Mann erschaffen – mit Adonaj.“
2 Da fuhr sie fort und gebar seinen Bruder, den Abel. Abel wurde ein Viehhirt, Kain aber war Ackerbauer.
3 Nach einiger Zeit brachte Kain von den Früchten des Ackers Adonaj eine Opfergabe dar.
4 Daraufhin brachte auch Abel etwas von den Erstgeburten seiner Herde und von ihren Fettstücken dar. Adonaj beachtete Abel und seine Opfergabe,
5 Kain aber und seine Opfergabe beachtete er nicht. Das ließ Kain aufs Äußerste entflammen, seine Gesichtszüge entglitten.
6 Da sagte Adonaj zu Kain: „Warum brennt es in dir? Und warum entgleiten deine Gesichtszüge derart?
7 Ist es nicht so: Wenn dir Gutes gelingt, schaust du stolz; wenn dir aber nichts Gutes gelingt, lauert die Sünde an der Tür. Auf dich richtet sich ihr Verlangen, doch du – du musst sie beherrschen.“
8 Da wollte Kain seinem Bruder Abel etwas sagen – doch als sie auf dem Feld waren, erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und tötete ihn.
9 Adonaj sagte zu Kain: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ Der sagte: „Das weiß ich nicht. Habe ich etwa die Aufsicht über meinen Bruder?“
10 Daraufhin: „Was hast du getan? Laut schreit das Blut deines Bruders zu mir vom Acker her.
11 Also: Verflucht bist du, weg vom Acker, der das Blut deines Bruders von deiner Hand geschluckt und aufgenommen hat!
12 Wenn du den Acker weiter bearbeitest, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben. Heimatlos und ruhelos musst du auf der Erde sein.“
13 Da sagte Kain zu Adonaj: „Meine Schuld ist zu groß, sie kann nicht aufgehoben werden.
14 Doch schau, du vertreibst mich heute vom Antlitz des Ackers, und auch vor deinem Antlitz muss ich mich verbergen und soll heimatlos und ruhelos auf der Erde sein – dann kann jeder mich töten, der mich findet.“
15 Da sprach Adonaj zu ihm: „Also denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.“ Und Adonaj machte ein Zeichen für Kain, so dass nicht jeder ihn erschlagen kann, der ihn findet.
16 So zog Kain los, fort vom Angesicht Adonajs.
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unsere Herzen. Amen.
Ihr Lieben,
Kain und Abel. Die Geschichte kennen die meisten. Aus der Urgeschichte. Von den Anfängen. Die Schöpfung. Das Licht. Den Tag und die Nacht. Den Himmel und die Erde. Das Wasser und die Erde und das Grüne. Die Sonne, den Mond und die Sterne. Die Wassertiere und die Flugtiere. Das Wild, die Kriechtiere und das Vieh. Schließlich das erste Menschenpaar, Adam und Eva. Den Ruhetag. Den Garten Eden. Und die Vertreibung daraus. Die ersten geborenen Menschen. Der erste Mensch, der stirbt. Der erste Mord. Die erste Sünde. Ein Brudermord.
Kain und Abel. Ich erinnere mich an die Grundschule. Wir bekamen die Aufgabe zu zeichnen. Abels Altar und Kains Altar. Wichtig war der Lehrerin die Gestaltung des Rauchs. Bei Kain wie vom Wind verweht, unruhig und voller Zacken. Bei Abel eine wunderbare aufsteigende Rauchsäule. Gott sieht Abel und sein Opfer. Nimmt es an. Kains nicht. Abels Opfer war das Gott gefälligere, so lernten wir. Viel wertvoller als Kains.
Lange Jahre hielt sich diese Deutung, wohl nicht nur bei mir. Auch im Studium, in der Wissenschaft, wurde weiter nach Gründen gesucht. Es gehe wohl um verschiedene Lebensformen. Ackerbauerkultur und Nomadentum. Doch eigentlich gebe es gar keinen Unterschied zwischen Kain und Abel. Kain habe nichts falsch gemacht. Und Abel habe nichts besser gemacht. Gott handelte einfach so, ohne irgendwelche Gründe.
Lass Euch einladen, der Geschichte etwas auf die Spur zu kommen, indem wir über die Ränder unseres Predigttextes hinausschauen. Schauen, was davor erzählt wird. Und was danach. Das Kapitel zu Ende lesen. Denn: da steht noch etwas! Etwas ganz Wichtiges, Erhellendes. Das Sinn und Tiefe gibt. Auch an unserem Text erst einmal ruhig entlang gehen. Und den Erinnerungen lauschen. Den Erinnerungen von Adam und Kain, von Abel und Eva. Und schließlich ein wenig das Geheimnis lüften können, das sich hinter Gottes Handeln verbirgt, das Geheimnis der Liebe.
„Ich erinnere mich“, sagt Adam, „weil ich von dem Baum gegessen hatte, verfluchte Gott den Ackerboden. Nur mit Mühe sollte ich mich von ihm ernähren, mein Leben lang. Mit Dornen und Disteln mich abplagen. Und am Ende zum Ackerboden zurückkehren. ‚Ja, Erde bist du, und zur Erde kehrst du zurück‘, sagte Gott. Nun waren wir sterblich. Gott machte uns Kleider und schickte uns fort aus dem Garten.
‚Mutter alles Lebendigen‘, hatte ich Eva genannt. Ich erkannte sie. Wir schliefen zusammen und sie wurde schwanger. Kain wurde geboren. Und bald darauf Abel. Viel später dann war sie noch einmal guter Hoffnung und wir bekamen noch einen Sohn. Aber davon soll sie besser selbst erzählen, denn das ist ihre Geschichte. Ich habe mich abgeplagt und geackert. Wie Gott es gesagt hatte. Unsere Söhne wuchsen heran und wurden selbständig … Jetzt erzählst Du besser selbst weiter, Kain!“
Doch ehe Kain zu Wort kam, begann sehr schnell und leise Abel zu sprechen: „Verzeih, wenn ich mich vordrängle. Ich weiß sehr wohl, ich bin nur der Zweite. Der Ewig-Zweite. Der kleine Bruder eben. Bloß einmal will ich es anders rum. Ist auch gar nicht viel, was ich von mir erzählen will. Was ich erinnere. Meinen Namen, Abel. Der ist wichtig. Damit Ihr versteht. Und mit mir fühlt und spürt. Abel. ‚Hauch‘ bedeutet das. Eine Luftnummer bin ich. Abel, das heißt auch ‚ein Nichts‘. Mein Name ist Programm. Schon der erzählt von meiner Vergänglichkeit. Pfffffffffffff. (laut die Luft auspusten)
Ja, ein ‚Nichts-chen‘, mehr bin ich nicht. So wie jeder Mensch. Ein Nichts-chen, ein Hauch, vergänglich, mit kurzer Lebensspanne. So wie jede Frau und jeder Mann. Ein Habenichts bin ich. Ziehe umher mit meiner Kleinviehherde. Von Weide zu Weide. Nomade bin ich, hüte Schafe und Ziegen. Ein Kleinviehhirte. Schlage mich so durch. Reich werde ich damit nicht. Komme grad so zurecht. Bin eher ein Looser, ein Verlierer. Ein Opfer. Mit mir ist wirklich nicht viel los.
Und dann, eines schönen Tages, sehe ich, wie mein großer Bruder, der Kain, von den Früchten seines Feldes opfert. Gute Idee, denke ich. Der Gottheit danken. Und um gute Ernte bitten. Also mache ich es ihm nach. Opfere etwas von den Erstgeburten meiner Herde und von ihren Fettstücken. Und erlebe und erfahre: Gott sieht mich an. Mich. Mein Opfer. Mich, den Hauch, das Nichts-chen. Den, der sonst immer übersehen wird. Das tut so gut. Die Gottheit sieht mich.“ Abel hält inne, fast so, als wäre er schon viel zu laut geworden. Als hätte er schon viel zu viel Raum eingenommen. Sich richtig wichtig gemacht!
Da ergreift auch schon Kain das Wort: „Nun hört mir mal gut zu. Hört, was ich erinnere. Ich war zuerst da. Der Erstgeborene. Der Große. Der Ältere. Das zukünftige Haupt der Familie, der neue Patriarch. Ich trage Verantwortung für die Familie. Das doppelte Erbteil ist mir versprochen. Meine Mutter war sehr stolz, als sie mich bekam. ‚Ich hab’s gekonnt, einen Mann erschaffen – mit Adonaj.‘ (Gen 4,1 BigS 2011) Und meinen Namen, Kain, wählte sie mit Bedacht. Da steckt ‚erwerben‘ drin und ‚besitzen‘. Mein Name ist Programm. Ich bin Mutters Hauptgewinn. Ein Gewinner. Mir kann keiner was. Nicht so eine Null, so ein Nichts-chen. So ein Nichtiger. Wie mein Bruder. Der Erste eben. Und der Beste. Der Hauptgewinner. ‚The winner takes it all!‘ Der Sieger bekommt alles. So einer bin ich. Dazu stehe ich.
Auf dem Feld rackere ich mich ab. So wie mein Vater. Mühsam ist es, dem Boden etwas abzuringen. Gewinn zu machen. Aber ich bin stark. Ich schaffe das. Und Abel, der war nie ein echter Konkurrent für mich. Darum macht er wohl auch so ganz was anderes. Der ist und bleibt eben ein Nichts-chen. Meinem Namen mache ich alle Ehre. Sicher ist meine Mutter sehr stolz auf mich. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich das machte. Aber eines schönen Tages nahm ich von meiner Ernte, von den Früchten meines Ackers. In denen so viel harte Arbeit und Mühsal steckten. Und ich opferte sie.
Und der Kleine, dieses ‚Nichts-chen‘, musste es mir natürlich nachmachen. Typisch! Wie mich das nervt! Schon immer. Glaubt mir, das kannte ich schon. Daran hatte ich mich längst gewöhnt. Was ich aber dann erlebt hatte, was ich noch nicht kannte, war, wie die Gottheit reagierte. Gott sah mein Opfer nicht an. Genauso wenig wie mich! Aber diese Luftnummer, dieses Nichts-chen und sein Opfer, die sah er. Die beachtete er. Die sah er an. Nicht zu fassen. Ich hatte doch nichts falsch gemacht! Oder? Ach egal, es gelang mir nicht, noch irgendwie einen klaren Gedanken zu fassen.
Gefühle übermannten mich. Überfielen mich. Überrannten mich. In mir tobte es. Mir wurde so heiß. Aufs Äußerste entflammte ich, und ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entglitten. Eifersüchtig war ich. Und wie! Neidisch. Diese Ungerechtigkeit! Zornig wurde ich, richtig gehend wütend. Ich musste zu Boden schauen. Bloß nicht mehr dieses Nichts-chen und sein Opfer sehen! Und trotzdem wurde ich rasend vor Wut.
Es machte es keinen Deut besser, dass Gott mich jetzt doch sah. Ansah. Und mich ansprach. ‚Warum brennt es in dir? Und warum entgleiten deine Gesichtszüge derart? Ist es nicht so: Wenn dir Gutes gelingt, schaust du stolz; wenn dir aber nichts Gutes gelingt, lauert die Sünde an der Tür. ‚Auf dich richtet sich ihr Verlangen, doch du – du musst sie beherrschen.‘ (Gen 4,6-8 BigS 2011) Das erreichte mich gar nicht. Völlig unmöglich, jetzt darüber nachzudenken. Und auch noch zu antworten! Ich versuchte mich zusammen zu reißen. Wirklich! Wollte meinem Bruder etwas sagen. Doch als wir dann auf dem Feld waren, fehlten mir die Worte. Mein Groll und meine Wut wurden übermächtig. Und so erschlug ich ihn.
Und da! Da war Gott dann plötzlich auch da. Hatte mich gesehen. Und was ich getan hatte. Und fragte mich. ‚Wo ist Abel, dein Bruder?‘ (Gen 4,9a BigS 2011) Ich sagte nur. ‚Das weiß ich nicht. Habe ich etwa die Aufsicht über meinen Bruder?‘ (Gen 4,9b BigS 2011) Ja, bin ich denn sein Hüter? Meines Bruders Hüter? Nein. Alles andere bin ich. Aber gewiss nicht der Hüter meines Bruders! Doch Gott machte weiter, ließ nicht locker. Stellte mir die nächste Frage. ‚Was hast du getan? Laut schreit das Blut deines Bruders zu mir vom Acker her. Also: Verflucht bist du, weg vom Acker, der das Blut deines Bruders von deiner Hand geschluckt und aufgenommen hat! Wenn du den Acker weiter bearbeitest, wird er dir seine Kraft nicht mehr geben. Heimatlos und ruhelos musst du auf der Erde sein.‘ (Gen 4,10-12 BigS 2011)
Ja. Das verstehe ich immer noch nicht. Warum Gott mir das Leben ließ. Mich nicht richtig hart bestrafte. Warum er mich nur verfluchte? Und nicht tötete? Warum war Gott so gnädig? Wo er mich und mein Opfer doch nicht gesehen hatte? Trotzdem bekam ich eine Riesenpanik. Wie würde es mir ergehen, da draußen? So sagte ich ängstlich und voller Sorge: ‚Meine Schuld ist zu groß, sie kann nicht aufgehoben werden. Doch schau, du vertreibst mich heute vom Antlitz des Ackers, und auch vor deinem Antlitz muss ich mich verbergen und soll heimatlos und ruhelos auf der Erde sein – dann kann jeder mich töten, der mich findet.‘ (Gen 4,13-15 BigS 2011)
Darauf gab Gott mir die klare Zusage: ‚Also denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.‘ (Gen 4,16 BigS 2011) Damit konnte ich leben. Weiter machen. Ein Schutzzeichen bekam ich auch. Keiner sollte es wagen mich zu töten. Zukunft sollte ich haben. Die bekam ich. Und Nachkommenschaft. Den Henoch. Nach ihm benannte ich eine Stadt, die ich erbaute. Mein Enkel Irad bekam den Mehujaël. Und der den Metuschaël. Und der bekam den Lamech. der sich zwei Frauen nahm. Mit Ada bekam er den Jabal. Auf den das Hirtenleben zurückgeht. Und den Jubal. Auf den alles Spielen auf Instrumenten zurückgeht. Und mit Zilla den Tubal-Kain. Der war ein Schmied von Bronze- und Eisenpflügen. Und auch von Waffen. Lamech sagte seinen Frauen; ‚Einen Mann töte ich für meine Wunde, ein Kind für meine Strieme. Wenn Kain siebenmal gerächt wird, so Lamech siebenundsiebzigmal, denn: Wer Kain tötet, soll siebenfach gerächt werden.‘ (Gen 4,23-24 BigS 2011) Die Gewalt nahm zu. Das Töten und die Kriege. Der Blutrausch. Viele Lebensjahre hatte ich. Keiner wagte mir etwas anzutun. Nie. Keinen Tag. Ich habe Geschichte gemacht.“ Kain unterbrach sich. Hielt inne. Zufrieden. Stolz. Mit sich und der Welt im Reinen.
Da ergriff Eva das Wort. „Ich erinnere mich auch. Wie glücklich ich war! Und so stolz, als ich den Kain geboren hatte. Mit Gott hatte ich mir einen Mann erworben. Kain. Einen Mann hatte ich erschaffen. Abel, nun ja, das war der zweite. Nur ein Hauch eben. Ein Hauch von Leben. Nicht zu vergleichen mit Kain. Sie wurden beide erwachsen. Kain wurde Ackerbauer, Abel ein Hirte. Und dann verschwanden sie beide aus meinem Leben. Am selben Tag. Mein Kain wurde der Mörder seines Bruders. Das ‚Nichts-chen‘ war verhaucht. Nur sein Blut schrie von der Erde.
Inzwischen bin ich alt geworden. Vieles wurde mir zugetragen. Über das Opfer der beiden. Über den Mord. Über Kains Leben. Meine Enkel und Urenkel und so weiter. All die neuen Generationen. Über die Blutspur, die Kains Nachkommen in der Welt hinterließen. Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Inzwischen ist mir so einiges klar geworden. Auch über unsere Gottheit. Die mich Mitschöpferin werden ließ. Die meinen Stolz ertrug. Und meine Geringschätzung für Abel. Kein Wunder, dass Kain auf seinen Bruder herabsah. Von ihm nichts wissen wollte. Für ihn kein Bruder sein wollte. Und darum auch nicht so handelte. Nie und nimmer. Zu keiner Zeit.
Als Gott Abel ansah und sein Opfer. Meinen kleinen, zarten Abel, diesen Windhauch, dies Nichts-chen‘. Da ist Kain völlig durchgedreht. Da fühlte der sich total provoziert. Er, der Mann, und sein Opfer werden übersehen. Da sind Gefühle in ihm empor geflammt, die hat er nicht ertragen, nicht ausgehalten. Dass Gott sich von ihm wünschte, dass er ein Bruder sei. Dass er achtgibt auf Abel, diese Nichtigkeit. Das habe auch ich erst spät begriffen. Mein Auftrag, meine Aufgabe als Mutter, wäre ja dieselbe gewesen. Auf den Kleinen, den Schwachen, diesen Hauch, dies Nichts-chen acht zu geben. Es zu schützen. Zu beschützen. Der Erstgeborene hatte ja sowieso alle Vorteile auf seiner Seite.
Ach ja. Es ist so schwer für die Starken. Wenn Gott die Starken verwirft. Und die Schwachen erwählt. Die Gottheit ist frei in ihrer Entscheidung. Tätermutter und Opfermutter bin ich. In einer Person. Als ich Gottes Willen endlich verstanden hatte, für mich akzeptiert hatte, erinnerte ich mich endlich. Eva, Mutter allen Lebens, so heiße ich doch! Also wandte ich mich Adam zu. Und der erkannte mich noch einmal und ich ‚gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Set, denn seht, Gott hat mir einen anderen Nachkommen gesetzt anstelle Abels, denn Kain hat ihn getötet.‘ (Gen 4,25 BigS 2011) Das war mir eine Herzenssache. Set, mein dritter Sohn, für Abel, weil Kain ihn erschlug. So blieb ich Eva, Mutter des Lebens. Und gab das Leben weiter. Für Abel. Auf einer anderen Linie. In Set. Dem Setzling. Für Abel. Und Set bekam den Enosch. Das ‚Menschlein‘. Damals begannen die Menschen, Gott anzurufen.“
Nachdenklich enden Evas Erinnerungen. Eine kluge Frau. Gereift. Widerständig. Erklärt das Richtige der Mächtigen für falsch. Ergreift Partei für Abel, für die Schwachen. Kehrt um zu Recht und Gerechtigkeit. Erkennt die Sünde. Den Mord. Das Handeln gegen die Gottheit und Gottes Schöpfergeist. Die Erkenntnis von Gut und Böse. Auch draußen. Nach dem Rauswurf aus dem Garten Eden. Gottes Parteinahme für die Schwachen und Unterdrückten beginnt früh. Für die Übersehenen und Zarten. Für die ewigen Zweiten. Für die Letzten. Gott wirbt von Anfang an um uns: Seht die im Schatten leben. In Armut und Unterdrückung. Die nicht angesehen werden. Die übersehen werden. Die Bibel erzählt die Geschichte der Opfer. Ist an ihrer Seite. Und Gott mit ihnen.
Haben wir mehr als die Alternative: Kain oder Abel? Täter oder Opfer? Adam und Eva haben ein drittes Kind geboren, Set, der Stammvater war die Linie, die über die Väter Israels und über König David und von dort bis zu Jesus führte. Uns bleibt der dritte Weg: Jesus zu folgen, der sagte: „Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.“ (Mt 25,40 BigS 2011) Und: „Du sollst die Lebendige, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deinem ganzen Leben und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Denken, und deine Nächsten wie dich selbst.“ (Lk 10,27 unter Bezug auf Lev 19,18 BigS 2011) Und: „Ich gebe euch ein neues Gebot, dass ihr euch gegenseitig liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr euch gegenseitig liebt.“ (Joh 13,34 BigS 2011)
Solange wir in dieser Welt leben, sind wir nicht vollkommen. Sünder und Gerechte sind wir, zugleich. Täterinnen und Opfer. Immer noch sind Kain und Abel in uns. Wenn wir die Nachrichten sehen, erkennen wir jeden Tag, wie dünn die Schicht der Zivilisation immer noch ist. Noch immer ist der Mensch dem andern ein Wolf. Doch hat Gott einen neuen Anfang gemacht. Mit dem Wagnis der Liebe. „Wahrhaftig, ich sage euch, alles, was ihr für eines dieser meiner geringsten Geschwister getan habt, habt ihr für mich getan.“ (Mt 25,40 BigS 2011)
Amen.