Meine PREDIGT über Jeremia 20,7–13
an Okuli 2019 –
stark inspiriert durch die Predigt von Bodil Reller in „feministisch predigen 2019„
Gott schenke uns ein Herz für sein Wort
und ein Wort für unsere Herzen. Amen.
Liebe Gemeinde,
liebe Freundinnen und Freunde im Glauben,
welch ein Lied! Welch ein Lied hören wir gleich! Ein dunkles Lied – zugleich auch ein Liebeslied an unsere Gottheit und ihre göttliche Macht. Ein Lied, das davon singt, wie abhängig der Liebende von der Geliebten ist.
Wie unterdrückt, hilflos und ohnmächtig der Liebende gegenüber der Geliebten sein kann. Ein Lied, dass die tiefsten Gedanken nicht verschweigt. Ein Lied, das formuliert: Gott hat nicht nach dem eigenen Willen gefragt:
„Du hast mich verführt, Gott, und ich ließ mich verführen.
Du hast mich gepackt und überwältigt.“ (Jer 20,7 BIGS 2011)
Gewalt klingt an in diesen Worten – und Gott war der Täter. Gegen den Willen des Propheten hat Gott gehandelt. Hat ihn nicht gefragt, hat ihn überwältigt. So fühlt es sich an – überwältigt! Und erinnert an Jeremias Versuche, ganz am Anfang seiner Berufung – damals, als er zu Gott sagte:
„Ich kann doch nicht reden, ich bin noch so jung!“ (Jer 1,6 BIGS 2011) –
Trotzdem traut Gott Jeremia zu, sein Prophet zu sein, sein Volk zu begleiten und – zurechtzuweisen. Ihm, Jeremia, traut Gott es zu, der es sich selbst nicht zutraut.
Aber mit der Zeit wird Jeremia stärker, wagt es, sich von Gott senden zu lassen, wagt es auch, unangenehme Dinge anzusprechen.
Und spricht laut aus, was Gott ihm eingibt: das Volk ist auf einem Irrweg, weil es Gott aus dem Leben ausgeklammert hat, die Menschen sind böse und gewalttätig gegen Witwen, Waisen und Fremdlinge, sie reden scheinheilig, handeln hinterhältig.
Wo hat es Jeremia hingebracht? Für ihn ist sein Weg kein Triumphzug der Verkündigung, auch kein Triumphzug, weil er in der Nähe Gottes lebt.
Ganz im Gegenteil: ihn begleiten Hohn und Spott, seine Worte werden verlacht. Ja___, alle lachen über ihn!
Bis gerade eben war Jeremia doch noch ein Gefangener aufgrund seiner anklagenden Worte an das Volk, die Tempelpolizei, die Beamten und den König. An Händen und Füßen stramm gefesselt, geschlagen wurde er auch.
Nach einem Tag in Gefangenschaft die Freilassung. Innerlich stark geblieben, schleudert er seinem Peiniger ein paar prophetische Sprüche entgegen, mit der Autorität Gottes im Rücken:
„20,4b Ganz Juda will ich in die Hand des Königs von Babel geben,
dass er die Menschen nach Babel in die Verbannung wegführe
oder mit dem Schwert erschlage.
5 Alle Schätze dieser Stadt, all ihren Besitz und ihre ganzen Kostbarkeiten
gebe ich preis, und alle Schätze der Könige Judas
gebe ich in die Hand derer, die sie befeinden,
dass sie alles plündern, mitnehmen und nach Babel bringen.
6 Du, Paschhur, und alle, die in deinem Haus wohnen,
müssen in die Verbannung ziehen.
Du wirst nach Babel ziehen, dort sterben und begraben werden,
du und alle deine Vertrauten,
denen du Lügen prophezeit hast.“ (Jer 20,4b-6 BIGS 2011)
Für einen Moment nur ist Jeremia so stark.
Gleich danach wird er stiller, spürt seine Qual, seine Last. Spürt, ich bin am Ende!
Und wendet sich an Gott, als er wieder neue Kraft in sich spürt. Hier setzt unser Predigttext ein – aus dem Buch Jeremia, Kapitel 20:
„20, 7 Du hast mich verführt, Gott, und ich ließ mich verführen.
Du hast mich gepackt und überwältigt.
Jeden Tag werde ich zum Gespött, alle verlachen mich.
8 Ach, sooft ich rede, muss ich rufen, muss ich schreien:
Gewalt und Misshandlung.
Ja, das Wort Gottes wurde mir täglich zu Spott und Hohn.
9 Dachte ich aber: Ich will nicht mehr an Gott denken
und nicht mehr im Namen Gottes reden,
dann brannte es in meinem Herzen wie Feuer,
es erfüllte mein Inneres ganz.
Ich versuchte, dies auszuhalten, ich vermochte es aber nicht.
10 Ach, ich hörte das Gerede von Vielen:
Grauen ringsum! Verklagt ihn!
Wir wollen ihn verklagen!
Selbst alle Menschen, die in Frieden mit mir verbunden sind,
warten gespannt auf meinen Sturz.
Vielleicht lässt er sich verführen, dann können wir ihn überwältigen
und uns an ihm rächen.“ (Jer 20,7-10 BIGS 2011)
Das ist das Gefühl des Propheten. Hadernd, er ist am Ende, er kann nicht mehr. Und sein Auftrag kommt ihm unhaltbar vor. Alle sind gegen ihn, lachen und spotten, einsam ist er, alles hat sich gegen ihn verschworen!
Liebe Freundinnen und Freunde, „Du hast mich verführt, gepackt und überwältigt.“ Habt Ihr es auch gemerkt?
Dieser Prophet redet wie eine Frau, die gegen ihren Willen zur Liebe gezwungen wird. Dieser Prophet fühlt sich schwach, wie gelähmt, nur so kann er seinem Leiden Ausdruck verleihen.
Er will nicht mehr. Denn: wenn er Gottes Worte weiter ausspricht, wie ihm aufgetragen ist, dann fallen alle über ihn her, fesseln ihn.
Und: wenn er schweigen will, dann brennen die Worte Gottes wie Feuer in seinem Herzen.
Ja, Jeremia kann nicht anders. Ja, die Worte müssen raus – auch wenn das Zorn und Hohn auslöst. Was er auch tut – sein Herz macht es schwer und ohnmächtig.
Doch Jeremias Ohnmacht ist nicht wortlos. Er singt seine Gedanken, sie sprudeln aus ihm heraus. Singt seine Klage. Seine Zweifel finden eine Melodie.
Jeremia findet Worte, singt gegen das Verstummen an. Und erlebt, wie daraus ein Stück Zuversicht erwächst:
„20,11 Aber Gott steht mir wie ein starker, kraftvoller Mann bei.
Deshalb werden die, die mich verfolgen,
straucheln und nichts erreichen.
Gedemütigt werden sie zutiefst, denn sie bleiben ohne Erfolg –
eine immerwährende und unvergessliche Schmach.
12 Gott der Gewalten prüft die Gerechten, schaut Herz und Nieren an.
So werde ich deine ausgleichende Gerechtigkeit an ihnen erleben,
denn dir habe ich meine Sache anvertraut.
13 Singt Gott, preist Gott!
Denn Gott hat das Leben eines armen Menschen
aus der Hand derer gerettet, die Böses tun.“ (Jer 20,4b-6 BIGS 2011)
Welch ein Stimmungsumschwung, ja, vielleicht viel mehr als das: eine Wende: aus der Sackgasse heraus auf einen geraden Weg.
Für Jeremia wird der Weg nicht einfacher werden. Aber er hat Zuversicht wieder gefunden, Glaubenskraft getankt. Das ist eine wunderbare Erfahrung!
Wenn in einer Krise, einem langen dunklen Tal, wirklich Hoffnung und Zuversicht aufschimmern, dann erleben auch wir heute diese Wende von der Klage zur Hoffnung!
Auch wenn uns das Leben ganz andere Aufgaben stellt als damals Jeremia. Doch auch wir erleben: die Welt in ihrer Selbstsicherheit prallt auf Gottes Anspruch.
Ja, wie schaffen wir es – heute – als Christinnen und Christen glaubwürdig zu leben? Wie geht Gemeinschaft mit denen, die ich nicht kenne, noch nicht kenne?
Wie wird Frieden Wirklichkeit? Wie geht Gottvertrauen? Wie kann Nächstenliebe gelingen?
Ja, wie gehen wir mit Fremden, Waisen, Witwen um? Und wie geht ehrliches und aufrichtiges Reden ohne Selbstgerechtigkeit?
Das waren die Themen, die Jeremia angeprangert hat – wir wissen, was er meint, oder?
—
Heute glaubwürdig als Christin leben – das_ fordert mich heraus. Jeden Tag, neu. Ich begegne vielen Menschen, denen eine ungeheure Last auf den Schultern drückt.
Oft merke ich dann: Ja, ich komme da auch an meine Grenzen, finde nur schwer eine Antwort. Ja, manchmal zweifle ich auch an meinem Schöpfer, wird es mir zur Last, wenn ein Kind an Krebs erkrankt, wenn der plötzliche Tod eines Mittdreißigers eine schmerzhafte Lücke reißt, wenn Nachrichten mich erreichen, da steigen Frauen hochschwanger und mit kleinen Kindern in kleine hölzerne Nussschalen, mit der Hoffnung, in Europa eine Zukunft zu haben. Da lassen sich Frauen ausbeuten, in der Prostitution oder in unterbezahlten Jobs.
Mir werden solche Schicksale auch zu einer Last im Glauben. Und alle und auch ich brauchen dann Hoffnung, wenigstens einen Hoffnungsschimmer: Ja – es muss nicht alles so bleiben.
Dann möchte ich ein Lied anstimmen, ein Lied der Hoffnung, dass uns verbindet, auch wenn es ein dunkles Liebeslied an unseren Gott ist.
Damit wir in allem, was schwer ist, eine Hoffnung auf Veränderung sehen können.
Schwer, sehr schwer ist es so manches Mal, eine Last, eine Be-lastung, unter der ich zu zerbrechen drohe, auszuhalten, durchzuhalten. Trotz allem Hoffnung haben – vielleicht nur ein kleiner Lichtschimmer – vielleicht das Licht am Ende des Tunnels!
Liebe Gemeinde, Jeremia erlebt es so, hofft und hofft und hofft – und erlebt – viel später: Ja, meine Prophezeiungen treten tatsächlich ein. Ich behalte Recht.
Recht behalten – vielleicht ist das sogar das Schlimmste, was einem Propheten passieren kann??!! Recht haben, Recht behalten …
586 vor Chr. erobern die Babylonier Jerusalem, zerstören den Tempel, führen die Reichen ins Exil.
Und Jeremia? Neue Situation, neuer Auftrag Gottes: Jeremia wird zum Tröster für die, die nun in der Fremde leben:
„Nehmt diesen Weg an“, sagt er ihnen, „Gott geht mit euch mit.
Baut, pflanzt, gründet Familien. Wagt den Neuanfang.
Es wird eine Rückkehr geben, aber es wird dauern …“
Jeremia hatte mit Gott gehadert, und dann doch im Gottvertrauen weiter geredet, gehofft, gehandelt, gelebt, nun sagt er es den Verschleppten: „Seid getrost, es gibt Neuanfang!“
Liebe Freunde und Freundinnen, heute, am Sonntag Okuli, sind wir mittendrin in der Passionszeit, folgen dem Weg Jesu, seinem Weg bis ans Kreuz.
Und wissen doch schon: sein Tod am Kreuz war nicht das Ende, ist nicht das Ende, sondern: Jesus ist auferstanden, Jesus hat dem Tod die Macht genommen – allezeit, für immer und ewig.
Ja_, trotzdem durchleben wir mit Jesus dunkelste Phasen, wie er haderte mit seinem Auftrag, wie er zweifelte hat an seinem Weg, fast ver-zweifelte,wie er den Tod besiegte – ein für alle Mal -, wie er auferstanden ist am Ostermorgen.
Wir wissen ja schon, wie es ausgeht. Von Ostern her gehen wir seinen Weg mit, von Ostern her verstehen wir unser Leben, und auch unsere Fragen und auch unsern Zweifel.
Und genau das ist das Wunderbare an unserem Glauben: Trost empfangen, wo wir Gott aus dem Blick verloren haben, getröstet werden, wo wir die Ideen von Gemeinschaft vergessen haben, wieder stark werden, wo wir nicht fürsorglich, wo wir unbarmherzig, unehrlich geworden und gewesen sind!
Ja_, wir dürfen mit Gott hadern, mit Gott ringen, an Gott zweifeln, manchmal fast verzweifeln … das alles dürfen wir, gehört zum Leben im Glauben.
Und dann, ja_ und dann werden wir es erfahren: Es gibt Vergebung, Vergebung für das, was wir taten oder unterließen. Es gibt das Licht der Hoffnung in ausweglosen Situationen! Es gibt die Wende! Auch wenn der Weg gerade schier ausweglos erscheint.
Ich bin sicher: Es gibt den Freund, gibt die Freundin, die die Hände reicht.
Es gibt die Postkarte, die Verbundenheit ausdrückt.
Es gibt einen Clown, der zum Lachen ist, einen Clown, der vielleicht auch mich jetzt zum Lachen bringt, zum befreienden Gelächter.
Und die Einladung zum Essen kommt, einfach, weil man sich mag.
Diese Töne einfließen lassen in unsere Melodie des Lebens!
Gerade auch dann, wenn der Weg grad schwer ist.
So wie es das Lied vormacht, das wir gleich singen. Auch so ein ein dunkles Liebeslied.
Fürchte dich nicht! Singt uns Gott zu. Fürchte dich nicht, auch wenn da ganz viel Angst in dir ist, in deinem Herzen.
Fürchte dich nicht … Gott kennt dich und sieht dich – so sagt es sein Wort, Gottes Wort, das trägt, dich trägt.
Fürchte dich nicht … sieh nach vorn, auf deinen Weg, dahin, wo Gott dich hin sendet, lebe, lebe für den neuen Tag.
Fürchte dich nicht …! Lasst uns in dieses Lied einstimmen lasst uns gemeinsam singen, lasst uns die Hoffnung weitertragen.
Amen.
Liebe Elke, denke ganz dolle an Dich und wünsche Dir eine stetige gute Genesung. Hoffentlich geht es Dir immer ein bisschen besser, von Tag zu Tag.
Hier https://www.youtube.com/watch?v=Yd1JW4910Eg könntest Du das Predigtlied anhören.
Sei herzlich umarmt, Hiltrud
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Danke für diese Predigt. Schade, dass ich das Lied nicht mithören konnte. Ich liege hier im Uniklinikum Köln nach meiner Lungenkrebs-OP, und es geht mir recht bescheiden. Ein Gottesdienst wird hier nicht auf die Patientinnenzimmer übertragen, daher waren deine Worte ein schöner Ersatz.
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