DD309: Enterprise-Anorexia (Januar 2018)
von 16. Januar 2018
·
„Unsere Prozesse sind schlank, wir sind bis auf das letzte Promille effizient. Das lässt uns aber absolut nicht ruhen, ganz und gar nicht. Da kennt man uns schlecht: wir wollen natürlich immer besser werden. Wer sich nichts vornimmt, tut auch nichts. Wir nehmen uns lieber mehr vor als wir schaffen können, erst das erzeugt die richtige Motivation. Nichts darf unmöglich sein, alles muss gelingen. Wir haben Mitarbeiter, die wir ständig lernen lassen und schulen, indem wir sie penibel kontrollieren und jeden ihrer Fehler hart bestrafen. Das ist Lean Perfection in Vollkommenheit. Keiner der noch verbliebenen Mitarbeiter traut sich, einen Fehler zu machen, Geld auszugeben oder zu nett zu Kunden zu sein. Unsere Produkte werden vom Markt geliebt, wir haben die besten Services – gar kein Vergleich mit dem Schund unserer eifersüchtigen Wettbewerber. Wir geben uns sehr viel Mühe, uns in der Öffentlichkeit so darzustellen, wie wir von der Welt außen wahrgenommen werden wollen. Wir sind als Unternehmen so wundervoll geworden, weil wir nicht nur nichts verschwenden, sondern so wenig wie möglich verwenden.“
„Wir lassen uns jedes Jahr von einem harten und unnachsichtigen Beratungsunternehmen den Spiegel vorhalten. Wir wollen wissen, wo wir stehen. Wir selbst könnten zu stark überzeugt sein, schon kein Milligramm Fett mehr im Unternehmen zu haben. Es ist gefährlich, sich ohne Außensicht zu gut aufgestellt zu fühlen. Leiden wir wirklich genug? Aber wir sind ganz ruhig: Die Berater suchen immer erfolgloser nach Einsparmöglichkeiten in unserer Firma, was uns einerseits stolz macht, andererseits aber auch ernsthaft unwirsch – denn die kosten was, die Berater! Aber es muss alles möglich sein, auch ein weiteres Abnehmen der Kosten. Wir haben schon PowerPoints. Wir hassen Kosten, wir sind nicht blöd. Bei Menschen ist es so: Wenn sie kein Fett mehr haben und sehr dünn sind, muss man ihnen nicht so viel zu essen geben. Was aber, wenn wir auch die Muskelmasse abbauen? Könnten wir nicht noch viel mehr sparen? Wir lassen die Kunden Selfservice erlernen und wimmeln sie im Service-Center durch lange Warteschleifen ab. Echte Innovation, die zu viel kostet, wird durch einen Chief Innovation Officer abgewickelt, der sich das Sekretariat mit dem Chief Digital Officer teilt. Wir stellen ausschließlich abgebrochene Studenten ein, die nur noch minimale Hoffnungen haben. Wir lieben Design-Sinking. “
„Ach, das ist schön. Unsere Zahlen sind wundervoll. Zahlen lügen nicht. Man sagt immer, Zahlen wären nüchtern und trocken, aber wer sie liebt wie wir, wundert sich über die allgemeine Unverständigkeit. Nur Zahlen sollten Gewicht haben, sonst nichts. Schöne fette Zahlen.“
Quelle: Gunter Dueck