Auf http://www.feinschwarz.net fand ich heute diesen wunderbar inspirierenden Artikel vom 30. Juni 2017, geschrieben von Andreas Krebs:
Gott queer gedacht

„Ecce Homo“ von Elisabeth Ohlson Wallin
Gott queer gedacht
Das Verhältnis deutschsprachiger Theologie zu queeren Diskursen ist überwiegend distanziert. Das sollte sich ändern, meint Andreas Krebs. Denn letztlich sei jedes Gott-Denken durch und durch queer. „Theologie ist eine queere Angelegenheit. Sie ist immer eine queere Angelegenheit gewesen. Theologie ist wirklich eine sehr seltsame Angelegenheit.“ (Gerard Loughlin)
Es gibt kirchliche Kreise, in denen Begriffe wie „queer“ und „gender“ starke Emotionen auslösen. Die theologische Zunft im deutschsprachigen Raum gibt sich vor diesem Hintergrund professionell distanziert – gerade auch dort, wo sie queer– und gender-Theorien mit Offenheit und Neugier begegnet. Sie zeigt sich diskussionsbereit, lässt sich auf „Lernprozesse“ ein[1] – und vergisst doch nicht, einen gewissen Sicherheitsabstand einzuhalten. Auch gründliche Rezeptionen gender-theoretischer Ansätze gehen oft davon aus, dass die Verflüssigung von Geschlechts- und Rollenzuschreibungen zumindest in unserer Kultur eine moderne und säkulare Entwicklung sei, die mit interdisziplinärem Bewusstsein, hermeneutisch reflektierter Schriftlektüre und theologischer Differenzierung eingeholt werden müsse.[2] Aber was, wenn in Wirklichkeit die Theologie selbst eine zutiefst queere Angelegenheit wäre – und gerade auch das Spiel mit instabilen gender-Kategorien der christlichen Tradition seit jeher eingeschrieben?
Theologie selbst: eine zutiefst queere Angelegenheit…
Das jedenfalls ist die Grundthese der aus dem angelsächsischen Sprachraum kommenden Queer Theology.[3] Was bedeutet queer? Das englische Wort hängt sprachgeschichtlich mit dem deutschen „quer“ zusammen und heißt zunächst „schräg“ oder „seltsam“, etwas, das nicht zur Umgebung passen will. Eine Theologie, die schlechthin alles – Gott, Welt und Mensch – auf einen galiläischen Wanderprediger des ersten Jahrhunderts bezieht, kann in diesem Sinn mit Fug und Recht als queer bezeichnet werden – heute im säkularen Umfeld mehr denn je. Queer ist allerdings auch ein Schimpfwort – „bizarr“, „krank“, „abnorm“ –, das Menschen brandmarkt und ausgrenzt, die nicht der dichotomen, heterosexuellen Geschlechtskonstruktion von „Mann“ und „Frau“ entsprechen: lesbische Frauen, schwule Männer, Bisexuelle, Transidente oder Intersexuelle. Wer die Begriffe „Theologie“ und „queer“ verbindet, erregt deshalb Anstoß – bei manchen, weil Theologie aufs Verstörendste mit „Schmuddelkram“ zusammenkommt; bei anderen, weil Theologie institutionell mit eben jenen Kirchen verbunden ist, die bis heute an der Missachtung und Misshandlung queerer Menschen Mitschuld tragen. Tatsächlich aber – so behauptet die Queer Theology – steht seit jeher das Queere „im christlichen Denken nicht am Rand, sondern merkwürdig im Mittelpunkt“.[4] Der Furor, mit dem es von Theologie verdrängt und geächtet wurde – und noch wird –, nährt sich demnach gerade aus dem uneingestandenen Bewusstsein seiner Präsenz in christlichen Bildern und Narrativen. Hier kommt eine dritte Bedeutung von queer ins Spiel: Es ist ein Schimpfwort, das seinen Urheber*innen aus dem Mund genommen und zur stolzen Selbstbezeichnung wurde. Was also wäre, wenn Theologie diese Wende mitvollzöge und den (Selbst-)Hass gegen das Queere hinter sich ließe? Vielleicht würde sich zeigen, was Gerard Loughlin vermutet: Man muss die Tradition gar nicht beiseite schieben; es ist gerade diese selbst, die sich als durch und durch queer erweist.[5] Es geht um nicht weniger als ein coming out der Theologie!
Es geht um nicht weniger als ein coming out der Theologie!
Steht ein solches Programm aber nicht für neue Ausgrenzungen? Ist Queer Theology nicht Teil einer Bewegung, die das „Normale“ untergraben und die „Mehrheit“ zur Minderheit erklären will? Es stimmt, dass queeres Denken sich gegen die Konstruktion von Normalitäten und Majoritäten wendet; aber es will damit jegliche Form von Ausgrenzung konsequent unterlaufen. Eine „Hausfrau“ (die auch ein Mann oder … sein kann), die ihren Beruf aufgibt, um für Kinder zu sorgen, verhält sich in einer Arbeits- und Leistungsgesellschaft ebenso queer wie eine Person, die sich angesichts allgegenwärtiger Verherrlichung erotischer Glücksversprechen für den Zölibat entscheidet. Queer steht für eine radikale Inklusivität, die gerade keine gemeinsame Identität errichtet; sie ist auf nichts gestellt als die riskante Anerkennung bunter, spannungsreicher, nie ganz auf einen Nenner zu bringender Diversitäten. Darum legt queeres Denken so viel Wert auf Ambivalenzen und offene, bewegliche Begriffe: Es lässt klassische Vorstellungen einer Schöpfungsordnung ebenso hinter sich wie identitätspolitische Auffassungen von Frauen-, Lesben- und Schwulenemanzipation, die tatsächlich neue Nicht-Identitäten und damit Ausgrenzungen erzeugen. Stattdessen betont queere Theorie und Praxis das Veränderliche, Fließende, Unvorhersehbare, Konkret-Vorgegebene, aber auch potenziell Befreiende im Umgang mit gender, jenem leiblich-sozialen Bedeutungskomplex, der unser „Geschlecht“ ausmacht.
Eine Hausfrau in der Arbeitsgesellschaft? Queer!
Ein Zölibatärer in sexuellen aufgeladenen Zeiten? Queer!Diese emanzipatorische Sicht mag den Texten der Bibel und der christlichen Tradition zunächst nicht unterstellt werden. Dennoch zeigt sich: Sie stehen zu dichotomen Geschlechterkonstruktionen immer wieder „quer“. Das beginnt schon im ersten Schöpfungsbericht. Hätte ein Paar aus Gott und Göttin Mann und Frau je nach seinem und nach ihrem Bild erschaffen, besäße der Mann sein Urbild und die Frau das ihre; die Mann-Frau-Dichotomie wäre himmlisch garantiert. Bei einem Schöpfergott hingegen gelingt das nur mit Mühe. Gott erschuf den Menschen, heißt es in Gen 1,27, in seinem Bild; „männlich und weiblich“ erschuf er sie (die Menschen). Gott umfasst also Männliches wie Weibliches, und zugleich ist Gott mit „männlich“ oder „weiblich“ nicht zu fassen. Gott ist queer. Und dann soll ein Mensch, sein*ihr Bild, nur „Mann“ oder „Frau“ sein dürfen? Könnte es sein, dass „männlich und weiblich“ auf einen Möglichkeitsraum verweist, der unzählige Kombinationen und Übergänge offen lässt?
Gott ist queer.
Was Gott selbst betrifft, ist „er“ jedenfalls nicht durchgehend so patriarchal, wie viele meinen. Es gibt gar nicht wenige biblische Texte, in denen „Gott aus der Männerrolle fällt“.[6] Etwa Jesaja 46,3: „Hört mich, Haus Jakob, und aller Rest des Hauses Israel, die ihr euch von meinem Mutterleib tragen lasst, die ihr euch von meinem Mutterschoß (rächäm) bringen lasst“. Überhaupt: Wenn von Gottes „Erbarmen“ die Rede ist, steht im Hebräischen rachamim, das wörtlich mit „Mutterschößigkeit“ zu übersetzen wäre.[7] Eindeutig männlich scheint hingegen Jesu Gottesanrede als „Vater“. Wenn er aber von Gottes Handeln und Gottes Reich erzählt, tut er das oft mit parallel gebauten Gleichnissen, die auf männliche und weibliche Lebenswelten verweisen: etwa die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der verlorenen Drachme (Lk 15,1–10). Ohnehin ist Jesu Lebenswandel in den Augen seiner Zeitgenoss*innen zweifellos queer: Er ist offenbar unverheiratet, wendet sich von Mutter und Geschwistern ab, reißt verheiratete Männer wie Simon Petrus aus dem Familienverband und seiner Verantwortung heraus, bezeichnet hingegen die zusammengewürfelte Gruppe, die mit ihm umherzieht, als seine „Geschwister“ und unterhält dabei zu Männern wie zu Frauen intensive emotionale Beziehungen (so z.B. Joh 11,2.5.35).
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