
Thomas Hirsch-Hüffel schreibt zum Danken im newsletter gottesdienst der nordkirche http://mailchi.mp/gottesdienstinstitut-nordkirche/danken?e=0ff043cd72 wunderbar Anregendes, Inspirierendes und Bedenkswertes:

„Erntedank 2017
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen,
Danken ist eine reife Geste. Ein kleiner Mensch lernt sie langsam. Man bringt ihm das bei, aber ihm wird zunächst der Sinn nie ganz deutlich. Die Konvention verlangt das DANKE, aber richtig fühlbar wird Dank oft erst, wenn einmal echte Rettung geschah. Also im Winter ins Wasser gefallen und herausgefischt.
Danken setzt voraus, dass man sich angewiesen weiß. Ein Kind ist das sowieso, es kann für sich selbst nur bedingt sorgen – aber es erfährt normalerweise auch, dass alles Nötige vorhanden ist – in unseren Breiten. Aktuell und eindringlich angewiesen fühlt es sich vielleicht eher im Kletterkurs, dem Ersatz-Primärleben im Kontrast zu lauter technischen Lebenserleichterungen. Im Kongo ist Danken vielleicht lebenserhaltend, wenn wider Erwarten der Wasserwagen doch kommt.
In alle großen Gefühle kommt erst Fahrt, wenn Erfüllung unterbrochen ist. Etwas fehlt, und dann kommt es doch, aber ohne mein Zutun. Leere Hände. Der richtige Mann. Der verschwundene Krebs. Der zufriedene Tod.
Man könnte also für die Unterbrechungen danken, die Abstürze und den Mangel. Sofern er nicht alles zerstört und niemand zum Danken mehr übrig bleibt.
Manchmal kommen mir die Tränen, wenn ich ahne, dass mein (bislang) lebenslanger europäischer Friede vielleicht u.a. eine Folge unermesslicher Leichenberge ist. Meines Vaters verlorene Jugend wurde mein Gewinn? Ja, vielleicht. Kleiner möchte ich nicht denken von alldem, wenn ich zu Erntedank Gott mit in das Spiel hole, das ihm gehört. Denn im Eigenen klein denken, sich im Persönlichen einrichten, sich abgehängt oder vermeintlich sicher fühlen, schimpfen, das tun viele. Christliche Leute könnten jetzt eine Weile konsequent den Horizont weiten, wo er vernagelt ist.
Zur Weite des Horizonts gehört für mich z.B. auch: es ist extrem unwahrscheinlich, dass es mich überhaupt gibt. Sagen wir zehn hoch minus 19 die Chance geboren zu werden als ich aus Sternenstaub. Ein langer Weg bis zu mir und zu dir. Dann die 6 Milliarden Bakterien, die im Moment über meine Haut wandern. Ganz zu schweigen von meinem Bauch und vom Zebrastreifen und den Terroristen – die sind dagegen harmlose Würstchen.
Ich habe auch kein einklagbares Recht auf Leben. Ich habe schon irgendwie Recht zu leben, aber wer wollte mir das garantieren? Unsere aufgeblähte Klage-Kultur täuscht alle. Sie suggeriert Rechthaben, aber sie gewährt kein Seinsrecht. Das tut nur die Liebe, und die kann den Tod nicht auf-, sondern nur aushalten und mit hineinnehmen in die große Rechnung. Aber das kann sie. Deswegen verneigen wir uns vor so absurden Arrangements wie einem Holzkreuz mit einem totem Menschen daran. Der machts vor.
Wenn jetzt beziehungsgestörte Potentaten aller Art (leider fast immer Männer) ihren kleinen Horizont in die Welt rülpsen, so ahne ich: Ja, genau das ist das Leben zwischen all den Bakterien, den Sturzfluten und Rettungen, das ich immer gelebt habe und die Milliarden vor mir auch. Es gab und gibt gar nichts Sicheres. Nicht mal die Form der Erde, die spätestens in 4-6 Milliarden Jahren einfach mit der endlichen Sonne verglühen wird. Niemand ist sicher vor diesen tektonischen Verschiebungen.
Der Appell an die ‚menschliche Vernunft‘ ist läppisch gegenüber der Naturgewalt der Angst, die im Moment wieder spürbarer Erdbeben heraufruft. War es je anders, oder wussten wir nur nicht genug davon in Zeiten der drei Fernsehkanäle? – die mit den Schneegestöbern im Bild zur Linderung der Nachrichten.
Grade starb der russische Militär, der innerhalb von Sekunden einen atomaren Weltkrieg verhindert hat. Er ruhe in größtmöglicher Seligkeit – DANKE!
Also, was erwarten wir? Sicherheit? Was soll das sein? Dass „Wohlstand für alle“ weiter die Gemüter beruhigt, die sich Kontinente und Kaufkathedralen einverleiben möchten? Wer wird dann die Wohlständigen das Danken lehren, damit sie nicht doch auf mehr Wachstum schielen? Und lehrt nicht erst der Mangel wirklich Danken? Brauchen wir als Himmelreich schon jetzt ein bedingungsloses Grundeinkommen auf Kosten der Südseite der Erde? Wer spricht dann mit denen, die sich dort abgehängt fühlen? Das schaffen wir ja schon im eigenen Haus kaum. Oder vielleicht einfach nur bescheiden weiter Jahre voller geruhsamer Einkommen im Zustand politischer Betäubung?
Mir würde es helfen, wenn Kirchenleute mir zu Erntedank Fragen stellten – z.B. solche:
- Welche zwei Momente vom Aufwachen bis jetzt lassen dich danken?
- Zu welcher Zeit des Tages übst du den Muskel ‚Danken‘?
- Bist am Fortkommen der Welt auch dann noch interessiert, wenn du und all deine Freunde und Verwandte samt Nachfahren in der 2. Generation tot sind?
- Kannst du dich vor deinen Eltern verneigen und ihnen sagen: Danke, dass du ihr mir das Leben geschenkt habt?
- Bist du einverstanden mit deiner Geburt? – Bist du froh über deine Geburt?
- Wofür würdest du dein Leben aufs Spiel setzen?
- Glaubst du Gottes Wirken, wenn du die Welt siehst? Was oder wie wirkt er in deiner Vorstellung?
- Welche Erfindung wäre es wert für alle Zeiten gerettet zu werden?
- Welcher Mensch hat dich wirklich geliebt?
- Welche Politik hat dich je positiv beeindruckt?
- Von welchem Tier stammst du ab? Such dir eins aus.
- Welches war eine deiner besten Taten?
- Gibt es ein Vorbild für dich in seiner, ihrer Lebensweise, die viele auch kennen?
Es grüßt das kleine institut zum Erntedank
Ihr Thomas Hirsch-Hüffell
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